(Kiel) Mit Urteil vom 01.03.2012 bejahte das Oberlandesgericht München die bislang offensichtlich ungeklärte Frage, ob die versehentliche bzw. unbewusste Aufnahme von Allergenen in einem Lebensmittel durch eine auf verschiedene Stoffe bekannterweise allergische Person und die dadurch ausgelöste allergische Reaktion des Körpers einen Unfall im Sinn der privaten Unfallversicherung darstellt.

Eine bestehende allergische Reaktionsbereitschaft des Körpers auf bestimmte Lebensmittelstoffe ist nach dieser Entscheidung überdies keine (mitwirkende) Krankheit und mindert deshalb die Ansprüche gegen die Versicherung nicht.

Darauf verweist der Hamburger Rechtsanwalt Matthias W. Kroll, LL.M., Leiter des Fachausschusses „Finanzdienstleistungs- und Versicherungsrecht“ der DASV Deutschen Anwalt- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e.V. mit Sitz in Kiel, unter Hinweis auf die Mitteilung des Oberlandesgerichts (OLG) München vom 1.03.2012 zu seinem Urteil vom gleichen Tage, Az.: 14 U 2523/11.

Der Fall ist tragisch. Ein 15-jähriges, auf Nahrungsmittel allergisches, geistig behindertes Kind war am Heiligabend 2009 in Folge einer allergischen Reaktion nach dem mutmaßlichen Verzehr von nusshaltiger Schokolade verstorben.

Die Mutter des Kindes, die eine private Unfallversicherung abgeschlossen hatte, bei der das Kind mitversichert war, machte später gegenüber der Versicherung einen Betrag von 27.000,– € geltend, den Betrag, den die Versicherung für den Fall eines Unfalltodes den gesetzlichen Erben schuldet. Dem Vertrag lagen die allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen der Beklagten (GUB 99) sowie die „Allgemeine(n) Verbesserungen zu den GUB 99 – Euro ohne besondere Gliedertaxe“ zugrunde. Die Versicherung weigerte sich zu zahlen. Sie war der Ansicht, dass die Todesursache nicht geklärt sei und im übrigen auch kein Unfall vorliege.

Das Landgericht Memmingen hatte die Klage der Mutter auf die Versicherungssumme mit Urteil vom 19.05.2011 abgewiesen, da die von der Klägerin dargestellte hochallergische Reaktion als Todesursache jedenfalls nicht unter den Unfallbegriff falle. Ein willensgesteuerter normaler Verzehr von Vollmilchschokolade sei kein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis. Soweit nach den Vertragsbedingungen Vergiftungen bei Kindern bis 14 Jahren infolge Einnahme fester und flüssiger Stoffe mitversichert seien, scheide auch eine analoge Anwendung dieser Bestimmung bereits deshalb aus, weil das Kind zum Todeszeitpunkt 15 Jahre alt gewesen sei.

Diese Entscheidung wurde nunmehr von einem Augsburger Senat des Oberlandesgerichts München aufgehoben, so Kroll.

Nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens stand für den Senat fest, dass der Tod des Kindes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Folge einer allergischen Reaktion auf Nahrungsmittel war, wobei sehr vieles für eine Haselnussallergie sprach, letztlich aber nicht entscheidungserheblich war, welches Nahrungsmittel die fatalen Folgen auslöste. Mit großer Sicherheit hatte das Kind unbemerkt Schokoladetäfelchen von dem gedeckten Weihnachtstisch gegessen, die möglicherweise Nussbestandteile beinhalteten.

1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts stellt das versehentliche bzw. unbewusste Verzehren von Allergenen zusammen mit anderen Nahrungsstoffen im Privatversicherungsrecht (ähnlich wie auch im Sozialversicherungsrecht laut dazu bereits ergangenen Entscheidungen) einen versicherten Unfall dar. Ein solcher liegt dann vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper einwirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Das Erfordernis des von außen auf den Körper einwirkenden Ereignisses dient der Abgrenzung zu dem nur inneren Körpervorgang. Das Merkmal der Unfreiwilligkeit bezieht sich, so das Oberlandesgericht, nicht auf die Einwirkung von außen, sondern auf die dadurch bewirkte Gesundheitsschädigung.

Das maßgebliche Ereignis, das im vorliegenden Fall die erste Gesundheitsschädigung unmittelbar ausgelöst hatte, war das Aufeinandertreffen (nusshaltiger) Schokolade auf die Mundschleimhaut des Kindes. Diese wirkte von außen ein. Da die gesundheitsschädigende Einwirkung der Allergene auf den Körper des Kindes unfreiwillig und plötzlich, nämlich unerwartet innerhalb eines kurzen Zeitraums erfolgte, liegt, so der Senat, nach der Definition des § 178 Abs. 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) im vorliegenden Fall ein Unfallgeschehen vor. Auf die Frage einer (analogen) Anwendung der Mitversicherung von Kindern bis 14 Jahren bei Vergiftungen kam es für die Entscheidung nicht mehr an.

2. Die Leistungspflicht der privaten Unfallversicherung vermindert sich auch nicht etwa wegen der Mitwirkung bereits vorhandener Krankheiten oder Gebrechen bei den Unfallfolgen. Unter Krankheit im Sinne dieser Klausel versteht man einen regelwidrigen Körperzustand, der eine ärztliche Behandlung erfordert. Allein die allergische Reaktionsbereitschaft stellt jedoch nach Ansicht des Senats keine Krankheit dar. Die gegenteiligen, nicht näher begründeten Auffassungen zweier anderer Oberlandesgerichte haben den Senat nicht überzeugt. Krankmachende Symptome treten, worauf der Senat hingewiesen hat, nach der Sensibilisierung erst bei neuerlichem Kontakt mit dem für die individuelle Person relevanten Allergen auf. Solange der allergene Stoff vermieden wird, kann der allergische Versicherte also problemlos und uneingeschränkt ohne ärztliche Behandlung leben.

Der Senat hat mangels bislang vorliegender höchstrichterlicher Klärung der entscheidungserheblichen Fragen zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Revision gegen sein Urteil zum Bundesgerichtshof zugelassen.

Kroll riet, dies zu beachten und in allen Zweifelsfragen Rechtsrat einzuholen, wobei er dazu u. a. auch auf die entsprechend spezialisierten Anwälte und Anwältinnen in der DASV Deutsche Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e. V. – www.mittelstands-anwaelte.de – verwies.

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Matthias W. Kroll, LL.M.
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