10 Urteile, die Ihre Leser interessieren könnten
zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Kündigungsschaltfläche auf Internetseite
BGH, Urteil vom 22.05.2025, Az: I ZR 161/24
Hat der Unternehmer dem Verbraucher ermöglicht, über eine Internetseite einen Vertrag über die wiederkehrende Lieferung von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen zu schließen, so muss er auf der Internetseite eine Kündigungsschaltfläche auch dann bereitstellen, wenn der Verbraucher für die vertraglichen Leistungen des Unternehmers ein einmaliges Entgelt zu entrichten hat und der Vertrag nach der vereinbarten Laufzeit automatisch endet.
II.
Keine Unterschrift auf dem Kundenexemplar des Darlehensvertrages
BGH, Urteil vom 06.05.2025, Az: XI ZR 12/23
a) Die dem Darlehensnehmer nach § 356b Abs. 1 BGB ausgehändigte Abschrift seines Darlehensantrags muss weder von ihm unterzeichnet noch mit dem Abbild seiner Unterschrift versehen sein (Anschluss an Senatsurteil vom 27. Februar 2018 – XI ZR 160/17, WM 2018, 729Rn. 30).
b) Zur Angabe des Darlehensvermittlers nach § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 13 Abs. 1 EGBGB.
III.
Mehrheitsbeschluss einer Bruchteilsgemeinschaft
BGH, Urteil vom 29.04.2025, Az: II ZR 47/24
Ein Mehrheitsbeschluss der Teilhaber einer Gemeinschaft nach Bruchteilen ist am Maßstab der in § 745 Abs. 1 und Abs. 3 BGB festgelegten Grenzen zu messen. Ein danach wirksamer Mehrheitsbeschluss unterliegt bei unveränderter Sachlage keiner Billigkeitskontrolle nach § 745 Abs. 2 BGB.
IV.
Erlöschen des Vertragsstrafeanspruchs bei Rücktritt
BGH, Urteil vom 22.05.2025, Az: VII ZR 129/24
Tritt ein Besteller aufgrund eines ihm in einem Bauträgervertrag vertraglich eingeräumten Rücktrittsrechts wegen nicht termingerechter Fertigstellung eines abnahmereifen Bauwerks von dem Vertrag zurück, erlischt hierdurch nicht der Anspruch auf Zahlung einer vereinbarten und bereits verwirkten Vertragsstrafe wegen des Verzugs des Unternehmers mit der Fertigstellung, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben.
V.
Kündigung bei Verzug mit Mietsicherheit
BGH, Urteil vom 14.05.2025, Az: VIII ZR 256/23
Ist ein Mieter mit der Leistung einer als Mietsicherheit ( § 551 BGB ) vereinbarten Bankbürgschaft im Verzug, kann der Vermieter das Mietverhältnis nicht nach § 569 Abs. 2a BGB fristlos kündigen, weil eine Bankbürgschaft nicht in den Anwendungsbereich dieses Kündigungstatbestands fällt.
VI.
auflösende Bedingung – Klagefrist – Schwerbehinderung – Kenntnis des Arbeitgebers
LAG Köln, Urteil vom 7.05.2025 – 4 SLa 438/24
Dem Arbeitgeber kann weder die Kenntnis der Schwerbehindertenvertretung noch die eines Fachvorgesetzten von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zugerechnet werden.
VII.
Kündigung; Mutterschutz; rechnerische Schwangerschaft; biologische Schwangerschaft; rechtzeitige Mitteilung
LAG Köln, Urteil vom 17.04.2025 – 6 SLa 542/24
- Auch, wenn feststeht, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung eine Schwangerschaft der betroffenen Arbeitnehmerin biologisch ausgeschlossen ist, beginnt der besondere Kündigungsschutz nach § 17 MuSchG nach der Berechnungsmethode der ständigen Rechtsprechung des BAG (zuletzt: BAG v. 24.11.2022 – 2 AZR 11/22 -) 280 Tage vor dem errechneten Entbindungstermin.
- Während der besagten 280 Tage ist eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich verboten, es sei denn es liegt eine behördliche Erlaubnis vor. Notwendige Voraussetzung für dieses Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ist aber die rechtzeitige Mitteilung der Arbeitnehmerin an die Arbeitgeberin über diese Schwangerschaft – und nicht etwa über eine andere. Eine Mitteilung über eine ggfls. zuvor bestehende Schwangerschaft reicht daher nicht.
- Die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage gemäß § 4 KSchG beginnt in einem solchen Fall mit dem Ablauf des Tages des Kündigungszugangs. Eine erst vier Monate später erhobene Klage gilt gemäß § 7 KSchG als sozial gerechtfertigt.
- Der europarechtliche Schwangerschaftsbegriff (RL 92/85/EWG) ist ein biologischer.
VIII.
Auflösende Bedingung – Schriftform – Ligaklausel im Profi-Handball
LAG Düsseldorf, Urt. v. 27.05.2025, Az.: 3 SLa 614/24
- Die Vereinbarung einer sogenannten Ligaklausel, nach der der Arbeitsvertrag im Falle des Abstiegs aus der 1. (Handball-) Bundesliga automatisch endet, bedarf – da es sich um die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung handelt – zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform.
- Nutzt eine GmbH, die den Spielbetrieb der 1. Herrenmannschaft eines Handballbundesliga-Vereins durchführt, in einem Arbeitsvertrag mit dem Handballtrainer (mit Ligaklausel) ein Formular mit zwei Unterschriftenfeldern für ihre beiden einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer (inkl. Namensnennung nebst Funktionsbezeichnung), so kann dies nur so verstanden werden, dass beide Felder mit entsprechenden Unterschriften zu versehen sind. Durch ein leer bleibendes Unterschriftsfeld eines Geschäftsführers erweckt der Arbeitsvertrag den Eindruck der Unvollständigkeit. Ergeben sich auch sonst keine hinreichenden Anhaltspunkte aus dem Vertragsformular, die eine sichere Abgrenzung zu einem bloßen Vertragsentwurf ermöglichen, mangelt es an der Schriftform. Rechtsfolge dessen ist die Nichtigkeit der Bedingungsabrede (Ligaklausel).
- Dieses Problem der Schriftform ist von der Frage einer wirksamen Stellvertretung und hinreichenden (Einzel-) Vertretungsberechtigung zu unterscheiden. Die Vertretungsmacht heilt keinen Formverstoß.
IX.
Haftung im Fall einer Kollision bei einem Überholen eines Pedelecfahrers auf einem Radfahrweg; Einhaltung eines ausreichenden Abstandes
OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19.09.2024, Az.: 7 U 29/24
- Ein Pedelec ist kein Kraftfahrzeug i.S.d. StVG. Für den Pedelecfahrer gilt weder die Gefährdungshaftung noch gilt das seitliche Abstandsgebot beim innerörtlichen Überholen von 1,5 m.
- Beim Überholen eines Radfahrers durch einen anderen Radfahrer genügt in der Regel ein Abstand zwischen den Fahrenden – nicht zwischen den Lenkern – von einem Meter.
- Das Überholen eines Radfahrers durch einen anderen Radfahrer muss in der Regel nicht durch ein Klingelzeichen vorher angekündigt werden.
X.
Anfechtung von Gesellschafterbeschluss über deutlich unter Verkehrswert liegendem Verkaufspreis
OLG Brandenburg, Urteil vom 14.05.2025, Az.: 4 U 76/24
- Ein Gesellschafterbeschluss verstößt gegen die guten Sitten, wenn er außergesetzliche Normen außer Acht lässt, auf deren Einhaltung nach dem Anstandsgefühl der billig und gerecht Denkenden nicht verzichtet werden kann. Der Verstoß gegen die guten Sitten muss sich auf den Inhalt des Beschlusses beziehen. Ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, welches eine tatsächliche Vermutung für ein Handeln aus verwerflicher Gesinnung begründet und in der Regel eine weitere Prüfung der subjektiven Voraussetzungen entbehrlich macht, liegt nur vor, wenn der Wert der Leistung rund doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung. Bei Grundstücksgeschäften ist diese Voraussetzung bereits bei einer Verkehrswertüber- und -unterschreitung von 90 % erfüllt.
- Ein Gesellschafter ist grundsätzlich in der Ausübung seines Stimmrechts frei, soweit er die durch die Treuepflicht gezogenen Grenzen einhält. Eine Pflicht zur Abstimmung in einem bestimmten Sinn besteht nur, wenn zur Verfolgung der Interessen der Gesellschaft keine andere Stimmabgabe denkbar ist, andernfalls sicher schwere Nachteile entstehen und die eigenen Interessen des Gesellschafters dahinter zurückstehen müssen.
- Ein zur Anfechtung berechtigender Sondervorteil ist jeder Vorteil, sofern es bei einer Gesamtwürdigung der Fallumstände als mit den Interessen der Gesellschaft oder ihrer Aktionäre unvereinbare Bevorzugung erscheint, dem Aktionär oder einem Dritten den Vorteilserwerb zu gestatten. Für das Vorliegen eines Sondervorteils ist entscheidend, ob der Vorteil eine rechtliche Missbilligung verdient. Um dies zu ermitteln, wird gefragt, ob ein Geschäftsführer seine Pflicht zur Wahrung der Vermögensinteressen der Gesellschaft verletzen würde, wenn er dem Gesellschafter oder dem Dritten die angestrebten Vorteile aus eigener Kompetenz gewährte. Die rechtliche Wertung mündet damit in die Frage, ob es ökonomisch gerechtfertigt ist, dem Gesellschafter jene Vorteile zuzuwenden. Ein Sondervorteil ist indiziert, wenn der Vorteil zu nicht marktüblichen Konditionen (sog. Vergleichsmarktkonzept) gewährt wird.
- Ein objektiver Sondervorteil ist zu bejahen, wenn ein Kaufpreis beschlossen wird, der noch unterhalb des Verkehrswerts von beispielsweise Ackerland liegt, selbst wenn eine Bandbreite von plus/minus 10 % als marktüblich berücksichtigt wird.
Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Schriftleiter mittelstandsdepesche
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