10 Urteile, die Ihre Leser interessieren könnten
zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
(E-)Mails als vorzulegende Handels- und Geschäftsbriefe
BFH, Beschluss vom 30.04.2025, Az.: XI R 15/23
- Handels- und Geschäftsbriefe im Sinne von § 147 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) können auch E-Mails sein.
- (Digitale) Unterlagen über Konzernverrechnungspreise unterfallen dem Anwendungsbereich des § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO.
- Die Finanzverwaltung ist im Rahmen der Außenprüfung grundsätzlich berechtigt, vom Steuerpflichtigen sämtliche E-Mails mit steuerlichem Bezug anzufordern.
- Mangels Rechtsgrundlage ist es der Finanzverwaltung aber verwehrt, ein sogenanntes Gesamtjournal zu verlangen, das einerseits erst noch erstellt werden müsste und andererseits auch Informationen zu solchen E-Mails enthält, die keinen steuerlichen Bezug haben.
II.
Akteneinsicht und Auskunft über den Inhalt einer anonymen Anzeige
BFH, Urteil vom 15.07.2025, Az.: IX R 25/24
- Das Interesse eines Steuerpflichtigen auf Kenntnisnahme einer gegen ihn gerichteten, in den Steuerakten der Finanzbehörde befindlichen anonymen Anzeige ist im Rahmen der behördlichen Ermessensentscheidung über den Antrag auf Akteneinsicht gegen die kollidierenden Geheimhaltungsinteressen des Anzeigeerstatters und der Finanzbehörde abzuwägen.
- Beinhaltet eine anonyme Anzeige Informationen, die einen Steuerpflichtigen persönlich betreffen, liegen für ihn insoweit personenbezogene Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 1 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vor, die grundsätzlich vom Tatbestand des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs gemäß Art. 15 Abs. 1 DSGVO erfasst sind.
- Der auf Art. 23 Abs. 1 DSGVO beruhende Ausschluss des Auskunftsanspruchs nach § 32c Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) ist mit Unionsrecht vereinbar.
- Eine Finanzbehörde muss über den Inhalt einer ihr vorliegenden anonymen Anzeige gegenüber dem betroffenen Steuerpflichtigen keine Auskunft nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO erteilen, wenn das Geheimhaltungsinteresse der Behörde zum Zwecke der Erfüllung ihrer Aufgaben sowie der aus § 30 AO herrührende Identitätsschutz des Anzeigeerstatters im Einzelfall höher wiegen als das Informationsinteresse des Steuerpflichtigen.
III.
Ortsübliche Vermietungszeit für eine Ferienwohnung
BGH, Urteil vom 12.08.2025, Az.: IX R 23/24
- Bei einer ausschließlich an Feriengäste vermieteten und in der übrigen Zeit hierfür bereitgehaltenen Ferienwohnung ist grundsätzlich und typisierend von der Absicht des Steuerpflichtigen auszugehen, einen Einnahmeüberschuss zu erwirtschaften, wenn das Vermieten die ortsübliche Vermietungszeit von Ferienwohnungen ‑‑abgesehen von Vermietungshindernissen‑‑ nicht erheblich (das heißt um mindestens 25 %) unterschreitet.
- Um den Einfluss temporärer Faktoren möglichst gering zu halten und ein einheitliches Bild zu erlangen, ist auf die durchschnittliche Auslastung der Ferienwohnung über einen zusammenhängenden Zeitraum von drei bis fünf Jahren abzustellen.
IV.
Beschlussfassung der Eigentümer über Vorschüsse
BGH, Urteil vom 26.09.2025, Az.: V ZR 108/24
Bei der Beschlussfassung über die Vorschüsse zur Kostentragung steht den Wohnungseigentümern sowohl hinsichtlich der einzustellenden Positionen als auch im Hinblick auf deren Höhe ein weites Ermessen zu. Anfechtbar kann der Beschluss allenfalls dann sein, wenn im Zeitpunkt der Beschlussfassung evident ist, dass er zu weit überhöhten oder wesentlich zu niedrigen Vorschüssen führt.
V.
Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag
LAG Hessen, Beschluss vom 29.09.2025, Az.: 10 Ta 642/25
- Wird vor der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zwischen den Parteien ein gerichtlicher Vergleich geschlossen, der bisher nicht rechtshängige Gegenstände erfasst, ist regelmäßig davon auszugehen, dass die finanziell unbemittelte Partei Prozesskostenhilfe nicht nur für die bereits rechtshängigen Streitgegenstände begehrt, die durch diesen Vergleich erledigt werden, sondern auch für die weiteren durch den Vergleich miterledigten Streitpunkte (BAG 30. April 2014 – 10 AZB 13/14 – Rn. 16, NZA-RR 2014, 382).
- Anders ist die Situation, wenn ein Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt, dieser Antrag aber bereits beschieden worden ist und die Parteien sodann einen gerichtlichen Vergleich schließen. In einer solchen Situation ist das PKH-Verfahren grundsätzlich zunächst einmal abgeschlossen. Außerdem wäre gegebenenfalls eine neue Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorzulegen, da sich die Verhältnisse seit dem Bewilligungsbescheid im Laufe des Rechtsstreits geändert haben können (BAG 11. Februar 2025 – 4 AZB 26/24 – Rn. 19, NJW 2025, 1595).
- Ein besonnener und verständiger Prozessbevollmächtigter muss damit rechnen, dass ein Rechtsstreit durch Erlass eines feststellenden Beschlusses nach § 278 Abs. 6 1. Alt. ZPO sofort beendet wird, wenn die Parteivertreter jeweils einen gleichlautenden Vergleichsvorschlag bei Gericht einreichen.
VI.
Einstweilige Verfügung gegen abberufenen Gesellschafter-Geschäftsführer: Selbstwiderlegung der Dringlichkeit
KG Berlin, Beschluss vom 23.09.2025, Az.: 2 U 52/25
- Einem abgerufenen Gesellschafter-Geschäftsführer kann im Wege der einstweiligen Verfügung die weitere Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft untersagt werden, wenn ohne die beantragte einstweilige Regelung eine konkrete, schwerwiegende Beeinträchtigung der Interessen der Gesellschaft droht, wobei an das Vorliegen des Verfügungsgrundes strenge Anforderungen zu stellen sind.
- Beantragt der in erster Instanz unterlegene Verfügungskläger in einem Streit um die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers eine nicht nur unerhebliche Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist und schöpft er die Verlängerung weitgehend oder vollständig aus, führt dies regelmäßig zu einer Selbstwiderlegung der Dringlichkeit, sofern nicht im Einzelfall besondere Umstände vorliegen.
VII.
Voraussetzungen der Anordnung einer Fahrtenbuchführungspflicht für einen gesamten Firmenfuhrpark
OVG Lüneburg, Beschluss vom 22.09.2025, Az.: 12 LA 8/24
Anordnungen von längeren Fahrtenbuchführungspflichten für den gesamten Firmenfuhrpark kommen jedenfalls unter folgenden Voraussetzungen in Betracht: Nach mindestens einer vorangegangenen Fahrtenbuchanordnung von geringerer Dauer und/oder geringerem Ausmaß verweigert sich die fahrzeughaltende Kapitalgesellschaft fortgesetzt ihrer Obliegenheit, ausreichende innerbetriebliche Vorkehrungen zur Fahreridentifikation zu treffen, obwohl weiterhin regelmäßig wiederkehrend mit ihren Firmenfahrzeugen punktebewertete, aber unaufklärbare Verkehrsverstöße begangen werden.
VIII.
Pflicht zur Einrichtung Girokonto
VG Düsseldorf, Beschluss vom 14.10.2025, Az.: 20 L 3439/25
- Eine Sparkasse muss einem Unternehmen, bei dem der begründete Verdacht eines unseriösen Geschäftsgebarens besteht, kein Girokonto zur Verfügung stellen.
- Ein begründeter Verdacht besteht, wenn es im Zusammenhang mit geschäftlichen Aktivitäten des Unternehmens bereits zu nachhaltigen Verbraucherbeschwerden oder strafgerichtlichen Verfahren gekommen ist.
IX.
Verbindung der Klage auf Herausgabe des Sicherungsguts mit der Klage auf Zahlung der gesicherten Forderung; Gleichzeitige Geltendmachung von Darlehensrestforderung und Vorfälligkeitsentschädigung
OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.08.2025, Az.: I-16 U 188/23
- Es liegt im beiderseitigen Interesse von Sicherungsgeber und Sicherungsnehmer, dass die Klage auf Herausgabe des Sicherungsguts sofort mit der Klage auf Zahlung der gesicherten Forderung verbunden wird, weil nur dann im Zuge ein und desselben Erkenntnisverfahrens rechtskräftig festgestellt werden kann, ob und in welcher Höhe überhaupt die Forderung besteht, welche das herauszugebende Sicherungsgut besichert.
- Eine im kaufmännischen Geschäftsverkehr verwandte Klausel, die im Falle der Kündigung des Darlehens dem Darlehensgeber die gleichzeitige Geltendmachung von Darlehensrestvaluta und Vorfälligkeitsentschädigung gestattet, ist gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, da eine Vorfälligkeitsentschädigung nur im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs statt der Leistung verlangt werden kann.
X.
Auslegung Schriftstück als Testament
OLG München, Beschluss vom 09.10.2025, Az.: 33 Wx 44/25 e
Der Auslegung einer Individualerklärung als Verfügung von Todes steht nicht entgegen, dass in der Erklärung über die letztwillige Verfügung hinaus weitere Erklärungsinhalte (hier: Quittung) enthalten sind, soweit sich der Testierwille aus der Erklärung selbst oder den außerhalb der Urkunde liegenden Umständen sicher feststellen lässt
Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht Fachanwalt für Arbeitsrecht
Schriftleiter mittelstandsdepesche
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