(Kiel) Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat soeben über die Frage entschieden, unter welchen Voraussetzungen eine Amtshaftung des Staates für Richter wegen überlanger Verfahrensdauer eines Zivilprozesses besteht (§ 839 BGB, Art. 34 GG*).

Darauf verweist der Nürnberger Erb- und Steuerfachanwalt Dr. Norbert  Gieseler, Vizepräsident der DASV Deutsche Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e. V. mit Sitz in Kiel unter Hinweis auf das am 06.12.2010 veröffentlichte Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 04.11.2010.

Dem Streitfall lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger betrieb ein Transportunternehmen, das in den Jahren 1981/1982 für eine Baufirma als Subunternehmer tätig gewesen war. Nachdem unter den Parteien über die Art und Weise der Abrechnung Streit entstanden war, erhob der Kläger 1984 Klage auf Zahlung restlichen Werklohns. Der Rechtsstreit zog sich über viele Jahre hin. Ursache dafür war zum einen der Umstand, dass das Landgericht in dieser Sache zunächst ein Grundurteil erlassen, also die Klage dem Grunde nach für berechtigt erklärt hatte und dieses Grundurteil von der Beklagten mit Berufung und Revision angegriffen wurde. Zum anderen musste das Landgericht nach Rechtskraft des Grundurteils in dem sich anschließenden Betragsverfahren zur Höhe des Vergütungsanspruchs umfänglich Beweis erheben (u. a. Einholung von Sachverständigengutachten). Gegen das der Klage teilweise stattgebende Urteil des Landgerichts hatten beide Parteien Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens geriet die Baufirma in Insolvenz. Der Kläger hat wegen Masseunzulänglichkeit keine Aussicht, seine (weiteren) Vergütungsansprüche durchzusetzen.

Seinen diesbezüglichen Ausfallschaden macht der Kläger nunmehr gegenüber dem Land Nordrhein-Westfalen mit der Begründung geltend, die im Vorprozess tätigen Gerichte hätten pflichtwidrig das Verfahren nicht ausreichend gefördert. Wäre dies geschehen, so wäre der Prozess lange Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet gewesen mit der Folge, dass er von der Beklagten noch sein Geld bekommen hätte.

Das Landgericht hat die Schadensersatzklage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das Land zur Zahlung von über 530.000 € nebst Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Im Vorprozess sei es sowohl in erster als auch in zweiter Instanz zu Verstößen gegen die gerichtliche Prozessförderungspflicht gekommen. Die hierauf zurückzuführende Verzögerung belaufe sich auf insgesamt 34 Monate. Ohne diese Verzögerung hätte der Kläger im Vorprozess noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein für ihn günstigeres vollstreckungsfähiges Berufungsurteil erlangen können. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Baufirma von ihrer Hausbank auch noch die notwendigen Kreditmittel erhalten, um einer entsprechenden Zahlungsverpflichtung nachzukommen oder – im Falle der beabsichtigten Revisionseinlegung – durch Stellung einer Bankbürgschaft die Vollstreckung abzuwenden.

Auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des beklagten Landes hat der Bundesgerichtshof das Urteil aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. so Dr. Gieseler.

Der III. Zivilsenat hat die Entscheidung wie folgt begründet:

Als Anstellungskörperschaft haftet das beklagte Land für etwaiges dienstliches Fehlverhalten der mit der Bearbeitung und Entscheidung des Vorprozesses befassten Berufsrichter. Dies betrifft auch den Fall einer zögerlichen Sachbearbeitung. Hierbei verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Verpflichtung des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Prozesses zu bemühen. Der Zeitfaktor ist aber auch bei langer Verfahrensdauer nicht der allein entscheidende Maßstab für die Prüfung einer Pflichtwidrigkeit.

Nach § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die Anstellungskörperschaft wegen eines Fehlurteils nur dann auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, wenn dem Richter eine Rechtsbeugung anzulasten ist. Praktisch bedeutet dies, dass eine Inanspruchnahme des Staates für Fehlurteile nahezu ausscheidet. Dieses so genannte Richterspruchprivileg bezieht sich aber nicht nur auf die Mängel, die in dem Urteil selbst liegen oder die unmittelbar bei seinem Erlass begangen werden. Vielmehr erfasst es alle Maßnahmen, die objektiv darauf gerichtet sind, die Rechtssache durch Urteil zu entscheiden, also die Grundlagen für die Sachentscheidung zu gewinnen. Insoweit stellen etwa der Erlass eines Beweisbeschlusses oder ein richterlicher Hinweis zwar keine Urteile im prozessualen Sinn dar. Sie stehen aber in einem so engen Zusammenhang mit dem Urteil, dass sie von diesem haftungsmäßig nicht getrennt werden können. Führt deshalb die Anordnung einer Beweisaufnahme oder die Erteilung von Hinweisen und Auflagen zu einer Verlängerung des gerichtlichen Verfahrens, ist dies ohne Belang, auch wenn nach Auffassung des zur Entscheidung des Amtshaftungsprozesses berufenen Gerichts die Beweisaufnahme oder der Hinweis bzw. die Auflage überflüssig gewesen sind und ein der Klage stattgebendes sowie einen Vollstreckungsschaden vermeidendes Urteil deshalb früher hätte ergehen können. Gleiches gilt für sonstige prozessleitende Maßnahmen, die darauf abzielen, die Grundlagen für die Entscheidung zu gewinnen.

Aber auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB  erlangt der verfassungsrechtliche Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit seine Bedeutung. Daraus folgt, dass das richterliche Verhalten bei der Prozessführung im Amtshaftungsprozess generell nur auf seine Vertretbarkeit hin zu überprüfen ist.

Da die Annahme des Berufungsgerichts, es sei zu einer 34-monatigen pflichtwidrigen Verzögerung gekommen, unter Berücksichtigung des vorstehenden Maßstabs teilweise rechtsfehlerhaft und deshalb den darauf aufbauenden Feststellungen zur verzögerungsbedingten Vereitelung der Durchsetzung der klägerischen Ansprüche die Grundlage entzogen worden war, hat der Senat die Sache an das Berufungsgericht zur Vornahme neuer Feststellungen zurückverwiesen.

Durch das vorliegende Urteil werden die Maßstäbe konkretisiert, die anzuwenden sind, wenn einem Richter Verzögerungen bei der Ausübung seines Amtes vorgeworfen werden. Die Frage der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung dieser Entscheidung wird sich jedoch völlig neu stellen, wenn der Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (BT-Drucks. 17/3802) Gesetzeskraft erlangen sollte. Durch dieses Gesetz soll eine Entschädigungspflicht zugunsten desjenigen eingeführt werden, der „infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet“. Aufgrund dieser weit gefassten Formulierung steht zu erwarten, dass künftig Klagen wegen überlanger Dauer von Gerichtsverfahren weit häufiger als bisher erhoben werden.

Gieseler mahnte, dies und den Fortgang zu beachten und verwies  bei Fragen dazu u. a. auch auf die DASV Deutsche Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e. V. – www.mittelstands-anwaelte.de

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Dr. Norbert Gieseler
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