Arbeits­gericht Bonn, Beschluss vom 30.06.2020, AZ 5 Ca 83/20

Es beste­ht im Rah­men des Ein­stel­lungsver­fahrens kein all­ge­meines Fragerecht des Arbeit­ge­bers nach Vorstrafen und Ermit­tlungsver­fahren jed­wed­er Art. Der Arbeit­ge­ber darf bei einem Arbeit­nehmer vielmehr nur Infor­ma­tio­nen zu solchen Vorstrafen und Ermit­tlungsver­fahren ein­holen, die für den zu beset­zen­den Arbeit­splatz rel­e­vant sein kön­nen. Dies gilt auch im Rah­men eines Bewer­bungsver­fahrens für den öffentlichen Dienst.

Der Kläger ste­ht bei der Beklagten seit dem 01.08.2018 in einem Aus­bil­dungsver­hält­nis zur Fachkraft für Lager­l­ogis­tik. Im Rah­men sein­er Tätigkeit hat der Kläger Zugriff auf ver­schiedene hochw­er­tige Ver­mö­gens­güter der Beklagten.

Im Rah­men seines Ein­stel­lungsver­fahrens bei der Beklagten füllte der Kläger ein „Per­son­al­blatt“ aus, in welchem er bei den Angaben zu „Gerichtlichen Verurteilun­gen / schwebende Ver­fahren“ die Antwort­möglichkeit „Nein“ aus­gewählt hat­te. Tat­säch­lich war dem Kläger zu diesem Zeit­punkt jedoch bekan­nt, dass gegen ihn ein Strafver­fahren wegen Raubes anhängig war und die Hauptver­hand­lung eröffnet wer­den sollte. Im Juli 2019 wandte sich der Kläger sodann an seinen Vorge­set­zten und teilte ihm mit, dass er eine Haft­strafe antreten müsse und er eine Erk­lärung der Beklagten benötige, dass er seine Aus­bil­dung während seines Freigangs fort­führen könne.

Die Beklagte erk­lärte daraufhin mit Schreiben vom 20.11.2019 die Anfech­tung des Aus­bil­dungsver­trages des Klägers wegen arglistiger Täuschung.

Mit Urteil vom 20.05.2020 gab das Arbeits­gericht Bonn der Klage statt. Die Beklagte kon­nte den Aus­bil­dungsver­trag des Klägers nicht wegen arglistiger Täuschung anfechten.

Grund­sät­zlich ist der Arbeit­ge­ber im Ein­stel­lungsver­fahren berechtigt, bei dem Bewer­ber Infor­ma­tio­nen zu Vorstrafen einzu­holen, wenn und soweit diese für die Art des zu beset­zen­den Arbeit­splatzes rel­e­vant seien kön­nen. Bei ein­er Bewer­bung um ein öffentlich­es Amt darf sich der Arbeit­ge­ber nach anhängi­gen Straf- und Ermit­tlungsver­fahren erkundi­gen, wenn ein solch­es Ver­fahren Zweifel an der per­sön­lichen Eig­nung des Bewer­bers für die in Aus­sicht genommene Tätigkeit begrün­den kann. Ist hinge­gen die Frage nach gerichtlichen Verurteilun­gen und schweben­den Ver­fahren bei ein­er Abwä­gung mit dem all­ge­meinen Per­sön­lichkeit­srecht des Bewer­bers zu weit­ge­hend, ist diese Frage unzuläs­sig und enthebt den Bewer­ber von der Verpflich­tung zur wahrheits­gemäßen Beantwortung.

Die von der Beklagten im Rah­men des Per­son­al­blattes gestellte unspez­i­fizierte Frage nach Ermit­tlungsver­fahren jed­wed­er Art ist bei ein­er Bewer­bung um eine Aus­bil­dungsstelle als Fachkraft für Lager­l­ogis­tik zu weit­ge­hend und damit unzuläs­sig. Es ver­mag nicht jede denkbare Straftat Zweifel an der Eig­nung des Klägers für die Aus­bil­dung zur Fachkraft für Lager­l­ogis­tik zu begrün­den. Dies gilt auch dann, wenn die Aus­bil­dung durch einen öffentlichen Arbeit­ge­ber erfol­gen soll. Damit aber war die Beklagte nicht berechtigt, den Aus­bil­dungsver­trag des Klägers wegen arglistiger Täuschung anzufechten.

Die Entschei­dung ist noch nicht recht­skräftig. Gegen das Urteil kann Beru­fung beim Lan­desar­beits­gericht Köln ein­gelegt werden.

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