Bun­de­sar­beits­gericht, Beschluss vom 16.08.2022, AZ 9 AZR 76/22 (A)

Aus­gabe: 08–2022

Der Neunte Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts hat ein Vor­abentschei­dungser­suchen an den Gericht­shof der Europäis­chen Union gerichtet, um die Frage klären zu lassen, ob aus dem Union­srecht die Verpflich­tung des Arbeit­ge­bers abzuleit­en ist, einem Arbeit­nehmer bezahlten Erhol­ung­surlaub nachzugewähren, der zwar während des Urlaubs selb­st nicht erkrankt ist, in dieser Zeit aber eine behördlich ange­ord­nete häus­liche Quar­an­täne einzuhal­ten hatte.

Der Kläger ist seit 1993 bei der Beklagten als Schloss­er beschäftigt. Auf seinen Antrag bewil­ligte ihm die Beklagte acht Tage Erhol­ung­surlaub für die Zeit vom 12. bis zum 21. Okto­ber 2020. Mit Bescheid vom 14. Okto­ber 2020 ord­nete die Stadt Hagen die Abson­derung des Klägers in häus­liche Quar­an­täne für die Zeit vom 9. bis zum 21. Okto­ber 2020 an, weil er zu ein­er mit dem Coro­n­avirus SARS-CoV­‑2 infizierten Per­son Kon­takt hat­te. Für die Zeit der Quar­an­täne war es dem Kläger unter­sagt, seine Woh­nung ohne aus­drück­liche Zus­tim­mung des Gesund­heit­samts zu ver­lassen und Besuch von haushalts­frem­den Per­so­n­en zu emp­fan­gen. Die Beklagte belastete das Urlaub­skon­to des Klägers mit acht Tagen und zahlte ihm das Urlaubsentgelt.

Der Kläger hat die auf Wiedergutschrift der Urlaub­stage auf seinem Urlaub­skon­to gerichtete Klage darauf gestützt, es sei ihm nicht möglich gewe­sen, seinen Urlaub selb­st­bes­timmt zu gestal­ten. Die Sit­u­a­tion bei ein­er Quar­an­täneanord­nung sei der infolge ein­er krankheits­be­d­ingten Arbeit­sun­fähigkeit ver­gle­ich­bar. Der Arbeit­ge­ber müsse ihm deshalb entsprechend § 9 BUrlG, dem zufolge ärztlich attestierte Krankheit­szeit­en während des Urlaubs nicht auf den Jahresurlaub angerech­net wer­den dür­fen, nachgewähren.

Das Lan­desar­beits­gericht ist dieser Auf­fas­sung gefol­gt und hat der Klage stattgegeben. Für den Neun­ten Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts ist es entschei­dungser­he­blich, ob es mit Art. 7 der Arbeit­szeitrichtlin­ie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Char­ta der Grun­drechte der Europäis­chen Union im Ein­klang ste­ht, wenn vom Arbeit­nehmer beantragter und vom Arbeit­ge­ber bewil­ligter Jahresurlaub, der sich mit ein­er nach Urlaub­s­be­wil­li­gung durch die zuständi­ge Behörde ange­ord­neten häus­lichen Quar­an­täne zeitlich über­schnei­det, nach nationalem Recht nicht nachzugewähren ist, weil der betrof­fene Arbeit­nehmer selb­st nicht krank war.

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