BGH, Beschluss vom 26.04.2022, AZ VII ZR 247/21, VII ZR 285/21, VII ZR 783/21

Aus­gabe: 03/04–2022

Der unter anderem für Schadenser­satzansprüche aus uner­laubten Hand­lun­gen, die den Vor­wurf ein­er unzuläs­si­gen Abschal­tein­rich­tung bei einem Kraft­fahrzeug mit Diesel­mo­tor zum Gegen­stand haben, zuständi­ge VII. Zivilse­n­at hat heute erneut über Schadenser­satzansprüche wegen des Leas­ings und anschließen­den Kaufs eines Die­selfahrzeugs entsch­ieden. Im Mit­telpunkt der Ver­fahren stand wiederum die Frage der bei der delik­tis­chen Vorteil­saus­gle­ichung vorzunehmenden Bemes­sung des Nutzungsvorteils des Leasingnehmers. 

- Sachver­halt:

In den drei Ver­fahren nahm die jew­eilige Klagepartei die beklagte Volk­swa­gen AG als Fahrzeug- bzw. Motorher­stel­lerin auf Schadenser­satz wegen der Ver­wen­dung ein­er unzuläs­si­gen Abschal­tein­rich­tung in Anspruch. 

Im Ver­fahren VII ZR 247/21 schloss die Klägerin im Früh­jahr 2010 mit der Volk­swa­gen Leas­ing GmbH einen Leas­ingver­trag über ein von der Beklagten hergestelltes Neu­fahrzeug des Typs VW Golf. In der Fol­gezeit zahlte sie die vere­in­barten monatlichen Leas­in­grat­en, bis sie das Fahrzeug im Juni 2013 kaufte.
Im Ver­fahren VII ZR 285/21 schloss der Kläger im Februar/Mai 2015 mit der Volk­swa­gen Leas­ing GmbH einen Leas­ingver­trag über ein von der Beklagten hergestelltes, gebraucht­es Kraft­fahrzeug vom Typ VW Tiguan. Ver­trags­gemäß erbrachte er in der Fol­gezeit eine Ein­malzahlung sowie monatliche Zahlun­gen, bis er das Fahrzeug im März 2018 kaufte. 

Im Ver­fahren VII ZR 783/21 schloss die Klägerin im Dezem­ber 2011 mit der Volk­swa­gen Leas­ing GmbH einen Leas­ingver­trag über ein Neu­fahrzeug des Typs Seat Ibiza 2.0 TDI. Sie leis­tete eine Son­der­an­zahlung und monatliche Rat­en, zudem wandte sie 1.178,29 € für den Ein­bau eines Gewinde­fahrw­erks auf. Anfang August 2016 kaufte sie das Fahrzeug. 

In den Fahrzeu­gen ist jew­eils ein von der Beklagten hergestell­ter Diesel­mo­tor des Typs EA 189 ver­baut. Die Motoren enthiel­ten bei Abschluss der Leas­ingverträge eine Soft­ware, die den Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüf­s­tand erkan­nte und in diesem Fall einen gerin­geren Stick­ox­i­dausstoß als im Nor­mal­be­trieb bewirkte. 

Die Klageparteien haben in den Vorin­stanzen, soweit für die Revi­sionsver­fahren von Inter­esse, im Wesentlichen die Erstat­tung ihrer Leas­ingzahlun­gen abzüglich ein­er Nutzungsentschädi­gung begehrt. 

- Bish­eriger Prozessverlauf: 

Die Kla­gen waren vor den jew­eili­gen Beru­fungs­gericht­en jew­eils zum Teil erfol­gre­ich. Die Beru­fungs­gerichte haben übere­in­stim­mend angenom­men, dass den Klageparteien ein Anspruch auf Erstat­tung ihrer Leas­ingzahlun­gen (im Ver­fahren VII ZR 783/21 zuzüglich der Aufwen­dun­gen für das Gewinde­fahrw­erk) unter Anrech­nung gezo­gen­er Nutzungsvorteile zuste­he. Der Wert der während der Leas­ingzeit erlangten Nutzungsvorteile entspreche nicht den von den Klageparteien erbracht­en Leas­ingzahlun­gen, son­dern sei nach der für den Fahrzeugkauf anerkan­nten Berech­nungs­formel, also Fahrzeug­preis mal Fahrstrecke geteilt durch Lau­fleis­tungser­wartung (so die Beru­fungs­gerichte in den Ver­fahren VII ZR 247/21 und 783/21), beziehungsweise gemäß dem während der Leas­ingzeit einge­trete­nen Wertver­lust des Fahrzeugs (so das Beru­fungs­gericht im Ver­fahren VII ZR 285/21) zu bemessen. 

- Entschei­dung des Bundesgerichtshofs: 

Die von den Beru­fungs­gericht­en zuge­lasse­nen Revi­sio­nen der Beklagten hat­ten Erfolg. Sie führten in den Ver­fahren VII ZR 285/21 und 783/21 jew­eils zur voll­ständi­gen Abweisung der Klage und im Ver­fahren VII ZR 247/21 zur Wieder­her­stel­lung des landgerichtlichen Urteils, durch das die Beklagte lediglich zur Erstat­tung des im Juni 2013 von der Klägerin gezahlten Kauf­preis­es abzüglich der nach dem Kauf gezo­ge­nen Nutzun­gen verurteilt wor­den war.
Wie der Bun­des­gericht­shof mit — nach Erlass der drei hier ange­focht­e­nen Beru­fung­surteile ergan­genem — Urteil vom 16. Sep­tem­ber 2021 (VII ZR 192/20; vgl. Pressemit­teilung Nr. 172/2021) entsch­ieden hat, entspricht im Rah­men der delik­tis­chen Vorteil­saus­gle­ichung der Wert der während der Leas­ingzeit erlangten Nutzungsvorteile eines Kraft­fahrzeugs der Höhe nach den ver­traglich vere­in­barten Leas­ingzahlun­gen. Diese Recht­sprechung hat der Bun­des­gericht­shof in seinen heute verkün­de­ten Urteilen bestätigt. Die Frage, ob eine andere Betra­ch­tung dann geboten ist, wenn auf­grund der Ver­trags­gestal­tung von vorn­here­in fest­ste­ht, dass der Leas­ingnehmer das Fahrzeug nach Ablauf der Leas­ingzeit übern­immt, bedurfte in dem Urteil vom 16. Sep­tem­ber 2021 (VII ZR 192/20) kein­er Entschei­dung und kon­nte auch in den heute ver­han­del­ten Ver­fahren offenbleiben. 

In der Sache VII ZR 247/21 hat­te das Beru­fungs­gericht gemeint, eine dem Kaufrecht entsprechende Bew­er­tung des Nutzungsvorteils sei hier jeden­falls deshalb vorzunehmen, weil der Gesamtvor­gang beziehungsweise Ver­trag von Anfang an auf den Erwerb des Fahrzeugs aus­gerichtet gewe­sen sei. Mehr als eine Vorstel­lung der Klägerin oder gegebe­nen­falls bei­der Ver­tragsparteien, die jedoch nicht Gegen­stand der Ver­trags­gestal­tung gewor­den ist, lässt dies nicht erken­nen. Eine bere­its bei Abschluss des Leas­ingver­trags getrof­fene Vere­in­barung über den späteren Fahrzeuger­werb ist dage­gen wed­er den Fest­stel­lun­gen des Beru­fungs­gerichts unter Berück­sich­ti­gung der im Beru­fung­surteil in Bezug genomme­nen Ver­trag­sun­ter­la­gen noch dem revi­sion­srechtlich beachtlichen Parteivor­brin­gen zu entnehmen. 

In der Sache VII ZR 285/21 stand die Auf­fas­sung des dor­ti­gen Beru­fungs­gerichts, der Wert der Nutzun­gen sei nicht mit den erfol­gten Leas­ingzahlun­gen, son­dern mit dem Wertver­lust des Fahrzeugs während der Leas­ingzeit gle­ichzuset­zen, im Wider­spruch zur höch­strichter­lichen Recht­sprechung, von der abzuwe­ichen der Bun­des­gericht­shof keinen Anlass gese­hen hat. Der Wertver­lust des Fahrzeugs während der Leas­ingzeit ist kein geeigneter Maßstab zur Bemes­sung des Nutzungsvorteils. Der Wertver­lust stellt keinen Vorteil dar, den der Leas­ingnehmer erlangt. Er entspricht auch nicht dem Wert der leas­ing­mäßi­gen Fahrzeugnutzung. 

Im Ver­fahren VII ZR 783/21 hat­te das Beru­fungs­gericht sein­er Schätzung des während der Leas­ingzeit von der Klägerin erlangten Nutzungsvorteils durch Anwen­dung der für den Fahrzeugkauf anerkan­nten Berech­nungs­formel gle­ich­falls einen unrichti­gen Maßstab zugrunde gelegt. Eine Ver­trags­gestal­tung, bei der von vorn­here­in fest­ste­ht, dass der Leas­ingnehmer das Fahrzeug nach Ablauf der Leas­ingzeit übern­immt, war auch in diesem Fall wed­er den Fest­stel­lun­gen des Beru­fungs­gerichts noch dem revi­sion­srechtlich beachtlichen Parteivor­brin­gen zu ent­nehmen. Vielmehr sah die Leas­ing-Bestä­ti­gung eine abschließende Fahrzeugver­w­er­tung durch die Leas­ingge­berin über den Kraft­fahrzeughan­del vor. Die Annahme des Beru­fungs­gerichts, dass bere­its der Leas­ingver­trag auf einen späteren Erwerb des Fahrzeugs durch die Klägerin aus­gerichtet gewe­sen sei, was sich ins­beson­dere daran zeige, dass die Klägerin das Fahrzeug bere­its im Jahr 2012 auf eigene Kosten habe umbauen lassen, lässt lediglich eine rechtlich nicht abgesicherte Erwerb­svorstel­lung der Klägerin erken­nen, die eine Gle­ich­be­hand­lung mit einem Fahrzeugkäufer bei der Vorteils­be­mes­sung nicht rechtfertigt. 

Die Klägerin hat fern­er keinen Anspruch auf Erstat­tung der für das Sport­fahrw­erk (Gewinde­fahrw­erk) aufgewen­de­ten Kosten. Wie das Beru­fungs­gericht insoweit unange­focht­en und zutr­e­f­fend entsch­ieden hat, kann die Klägerin keinen Schadenser­satz für den im August 2016 erfol­gten Fahrzeugkauf ver­lan­gen. Fol­glich beste­ht auch kein begrün­de­ter Anlass für eine Her­aus­gabe des Fahrzeugs an die Beklagte. Vor diesem Hin­ter­grund stellt der Ein­bau des Gewinde­fahrw­erks keine ganz oder teil­weise verge­bliche, wom­öglich ersatzfähige Aufwen­dung dar. 

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