BGH, Beschluss vom 25.07.2023, AZ VIa ZR 1119/22

Aus­gabe: 5–7/2023

Der vom Prä­sid­i­um des Bun­des­gericht­shofs vorüberge­hend als Hil­f­sspruchkör­p­er ein­gerichtete VIa. Zivilse­n­at (vgl. Pressemit­teilung Nr. 141/2021 vom 22. Juli 2021) hat heute entsch­ieden, dass ein Motorher­steller, der nicht zugle­ich Fahrzeugher­steller ist, Käufern der vom soge­nan­nten Diesel­skan­dal betrof­fe­nen Fahrzeu­gen nur dann haftet, wenn er entwed­er selb­st im Sinne der §§ 826, 31 BGB sit­ten­widrig vorsät­zlich gehan­delt hat oder wenn er dem Fahrzeugher­steller nach § 823 Abs. 2, § 830 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV vorsät­zlich Bei­hil­fe zu dessen vorsät­zlichem Inverkehrbrin­gen eines Kraft­fahrzeugs mit ein­er inhaltlich unrichti­gen Übere­in­stim­mungs­bescheini­gung geleis­tet hat.

Sachver­halt und bish­eriger Prozessverlauf:

Der Kläger nimmt die beklagte Motorher­stel­lerin, die nicht zugle­ich Fahrzeugher­stel­lerin ist, wegen der Ver­wen­dung unzuläs­siger Abschal­tein­rich­tun­gen in einem Kraft­fahrzeug auf Schadenser­satz in Anspruch.

Der Kläger kaufte am 9. April 2019 von einem Händler ein gebraucht­es Kraft­fahrzeug eines anderen Fahrzeugher­stellers, das mit einem von der Beklagten entwick­el­ten und hergestell­ten Motor der Bau­rei­he EA 897 (Euro 6) aus­gerüstet ist. Das Fahrzeug war bere­its zuvor von einem vom Kraft­fahrt-Bun­de­samt (KBA) ange­ord­neten Rück­ruf wegen ein­er unzuläs­si­gen Abschal­tein­rich­tung betrof­fen. Ein von der Beklagten zur Besei­t­i­gung der vom KBA bean­stande­ten Abschal­tein­rich­tung erstelltes Soft­ware-Update hat­te das KBA am 1. August 2018 freigegeben.

Die im Wesentlichen auf Erstat­tung des Kauf­preis­es abzüglich des Wertes gezo­gen­er Nutzun­gen Zug um Zug gegen Über­gabe und Übereig­nung des Fahrzeugs gerichtete Klage hat vor dem Landgericht weit­ge­hend Erfolg gehabt. Auf die Beru­fung der Beklagten hat das Beru­fungs­gericht die Klage ins­ge­samt abgewiesen, weil der Kläger wed­er nach §§ 826, 31 BGB noch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schadenser­satz von der Beklagten ver­lan­gen könne. Das gelte auch, soweit der Kläger sein Begehren auf das Vorhan­den­sein eines Ther­mofen­sters stütze. Mit der vom Beru­fungs­gericht zuge­lasse­nen Revi­sion hat der Kläger die Wieder­her­stel­lung des erstin­stan­zlichen Urteils begehrt.

Entschei­dung des Bundesgerichtshofs:

Der Bun­des­gericht­shof hat die Revi­sion des Klägers zurück­gewiesen, weil er auf­grund der binden­den Fest­stel­lun­gen des Beru­fungs­gerichts davon auszuge­hen hat­te, der Beklagten falle wed­er selb­st eine sit­ten­widrige vorsät­zliche Schädi­gung des Klägers zur Last noch habe sie vorsät­zlich Bei­hil­fe dazu geleis­tet, dass der Fahrzeugher­steller das Fahrzeug vorsät­zlich mit ein­er inhaltlich unrichti­gen Übere­in­stim­mungs­bescheini­gung – hier: bezo­gen auf ein in das Fahrzeug ver­bautes Ther­mofen­ster – in den Verkehr gebracht habe.

Zwar ste­ht, wie der Bun­des­gericht­shof nach Erlass des Beru­fung­surteils mit Urteilen von 26. Juni 2023 entsch­ieden hat (vgl. Pressemit­teilung Nr. 100/23 vom 26. Juni 2023), dem Käufer eines mit ein­er unzuläs­si­gen Abschal­tein­rich­tung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verord­nung (EG) Nr. 715/2007 verse­henen Kraft­fahrzeugs unter den Voraus­set­zun­gen des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch gegen den Fahrzeugher­steller auf Ersatz des Dif­feren­zschadens zu.

Die Son­derpflicht, eine mit den (unions-)gesetzlichen Vor­gaben kon­vergierende Übere­in­stim­mungs­bescheini­gung auszugeben, trifft indessen nur den Fahrzeugher­steller, nicht den Motorher­steller. Der Bun­des­gericht­shof hat die Haf­tung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV unter Berück­sich­ti­gung der Recht­sprechung des EuGH in dessen Urteil vom 21. März 2023 (C‑100/21, NJW 2023, 1111 Rn. 78 ff., 91) in seinen Urteilen vom 26. Juni 2023 auf die Erteilung ein­er unrichti­gen Übere­in­stim­mungs­bescheini­gung gestützt, die der Fahrzeugher­steller in sein­er Eigen­schaft als Inhab­er ein­er EG-Typ­genehmi­gung gemäß Art. 18 Abs. 1 der Richtlin­ie 2007/46/EG jedem Fahrzeug bei­legt und die gemäß Art. 3 Nr. 36 der Richtlin­ie 2007/46/EG nicht nur die Übere­in­stim­mung des erwor­be­nen Fahrzeugs mit dem genehmigten Typ, son­dern auch die Ein­hal­tung aller Recht­sak­te bescheinigt. Die Haf­tung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV knüpft an die Erteilung ein­er unzutr­e­f­fend­en Übere­in­stim­mungs­bescheini­gung durch den Fahrzeugher­steller an. Der Motorher­steller kann deshalb, weil er die Übere­in­stim­mungs­bescheini­gung nicht aus­gibt, nach den all­ge­meinen und durch das Union­srecht unange­tasteten Grund­sätzen des deutschen Delik­t­srechts wed­er Mit­täter ein­er Vor­satz­tat des Fahrzeugher­stellers noch mit­tel­bar­er (Vorsatz-)Täter hin­ter dem (gegebe­nen­falls fahrläs­sig han­del­nden) Fahrzeugher­steller sein, weil ihn nicht die hierzu erforder­liche Son­derpflicht trifft.

Eine bei Son­derde­lik­ten mögliche Beteili­gung der Beklagten als Motorher­stel­lerin im Sinne des § 830 Abs. 2 BGB an ein­er delik­tis­chen Schädi­gung des Fahrzeugher­stellers, die eben­falls geeignet gewe­sen wäre, ihre delik­tis­che Haf­tung zu begrün­den, kam nach den nicht beachtlich ange­grif­f­e­nen Fest­stel­lun­gen des Beru­fungs­gerichts nicht in Betra­cht. Zwar kann Bei­hil­fe auch zu Son­derde­lik­ten geleis­tet wer­den, bei denen der Gehil­fe nicht Täter sein kann. Voraus­set­zung ist allerd­ings nicht nur, dass der Gehil­fe mit dop­pel­tem Vor­satz hin­sichtlich der frem­den rechtswidri­gen Tat und der eige­nen Unter­stützungsleis­tung gehan­delt hat. Bedin­gung ein­er Beteili­gung ist vielmehr weit­er eine Vor­satz­tat des Fahrzeugher­stellers. Die vorsät­zliche Förderung ein­er fahrläs­si­gen Tat erfüllt die Voraus­set­zun­gen des § 830 Abs. 2 BGB nicht. Eine Vor­satz­tat des Fahrzeugher­stellers hat das Beru­fungs­gericht, ohne dass die Revi­sion dem beachtlich ent­ge­genge­treten wäre, nicht festgestellt.

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