BGH, Beschluss vom 19.10.2022, AZ AnwZ (Brfg) 41/21

Aus­gabe: 10/11–2022

Der Sen­at für Anwaltssachen hat über die Wahlanfech­tungsklage eines Recht­san­walts entsch­ieden, der nach der Nieder­legung seines Amtes als Vor­standsmit­glied der beklagten Recht­san­walt­skam­mer wed­er zur Nach­wahl für den infolge sein­er Amt­snieder­legung nachzube­set­zen­den Sitz noch für die in einem ein­heitlichen Wahl­gang mit der Nach­wahl durchge­führte tur­nus­mäßige Neuwahl der Hälfte der Vor­standsmit­glieder als Kan­di­dat zuge­lassen wor­den war. Der Sen­at hat die Wahl hin­sichtlich der tur­nus­mäßi­gen Neuwahl für den Wahlbezirk des Klägers für ungültig erk­lärt und fest­gestellt, dass die Verbindung der Nach- und der Neuwahl in einem ein­heitlichen Wahl­gang rechtswidrig war. Den weit­erge­hen­den Antrag auf Ungültigerk­lärung auch der Nach­wahl hat er abgewiesen. 

Sachver­halt:

Der Kläger war im Jahr 2018 in den Vor­stand der beklagten Recht­san­walt­skam­mer gewählt wor­den, hat­te sein Amt aber im Juni 2019 wegen Mei­n­ungsver­schieden­heit­en mit anderen Vor­standsmit­gliedern niedergelegt. Die Nach­wahl für den infolge sein­er Amt­snieder­legung freige­wor­de­nen Sitz wurde vom 24. April bis 10. Mai 2020 in einem ein­heitlichen Wahl­gang mit der tur­nus­mäßi­gen Neuwahl 2020 der Hälfte der Vor­standsmit­glieder durchge­führt. Dabei soll­ten nach der Bekan­nt­machung des Wahlauss­chuss­es im Wahlbezirk des Klägers die elf Kan­di­dat­en, die die meis­ten Stim­men auf sich vere­inigten, für die in diesem Bezirk neu zu beset­zen­den elf Sitze gewählt sein und der Kan­di­dat auf Rang zwölf der Stim­me­nan­zahl für den infolge der Amt­snieder­legung des Klägers nachzube­set­zen­den Sitz. Der Kläger war zunächst als Kan­di­dat für die Wahl zuge­lassen, seine Zulas­sung aber anschließend mit der Begrün­dung wieder zurückgenom­men wor­den, dass er infolge sein­er Amt­snieder­legung nach § 69 Abs. 3 BRAO für den Rest der Amt­szeit des niedergelegten Amtes bis zum Jahr 2022 bei Wahlen zum Kam­mer­vor­stand nicht wählbar sei. 

Der Kläger und ein weit­er­er Beteiligter haben beantragt, die Wahlen zum Kam­mer­vor­stand vom 24. April bis 10. Mai 2020 für den Wahlbezirk des Klägers für ungültig zu erk­lären. Sie haben gel­tend gemacht, dass der Auss­chluss des Klägers als Kan­di­dat von der Nach- und der Neuwahl eben­so wie die Verbindung der bei­den Wahlen in einem ein­heitlichen Wahl­gang rechtswidrig gewe­sen sei. 

Bish­eriger Prozessverlauf: 

Der Anwalts­gericht­shof hat der Wahlanfech­tungsklage mit der Begrün­dung stattgegeben, dass es für den Auss­chluss des Klägers als Kan­di­dat von der Nach- und der Neuwahl an ein­er Rechts­grund­lage fehle. 

Dage­gen haben die beklagte Recht­san­walt­skam­mer und ein weit­er­er Beteiligter Beru­fung ein­gelegt. Im Laufe des Beru­fungsver­fahrens ist der Kläger bei der tur­nus­mäßi­gen Neuwahl 2022 in den Vor­stand der Beklagten gewählt wor­den und die Amt­szeit für das von ihm niedergelegte Amt abge­laufen. Im Hin­blick darauf haben die Beru­fungs­führer gel­tend gemacht, das Rechtss­chutz­in­ter­esse des Klägers an der Durch­führung des Ver­fahrens sei ent­fall­en und die Klage unzuläs­sig geworden. 

Entschei­dung des Bundesgerichtshofs: 

Der Bun­des­gericht­shof hat entsch­ieden, dass der Auss­chluss des Klägers als Kan­di­dat von der Nach­wahl für den von ihm niedergelegten Sitz gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO recht­mäßig war, nicht aber sein Auss­chluss als Kan­di­dat von der tur­nus­mäßi­gen Neuwahl. Außer­dem hat er fest­gestellt, dass die Verbindung der Nach- mit der Neuwahl in einem ein­heitlichen Wahl­gang rechtswidrig war. 

Das erforder­liche Rechtss­chutzbedürf­nis des Klägers für die Durch­führung des Wahlanfech­tungsver­fahrens nach § 112f Abs. 1 Nr. 2 BRAO ist durch seine zwis­chen­zeitliche Wahl in den Vor­stand der Beklagten bei der tur­nus­mäßi­gen Neuwahl 2022 nicht ent­fall­en. Das Wahlanfech­tungsver­fahren dient der objek­tiv-rechtlichen Über­prü­fung ein­er Wahl, so dass es für seine Durch­führung kein­er sub­jek­tiv­en Rechtsver­let­zung des Klägers bedarf. Das berechtigte Inter­esse an der objek­tiv-rechtlichen Über­prü­fung ein­er Wahl beste­ht trotz nachträglich­er Wahl des (möglicher­weise) benachteiligten Kan­di­dat­en in das betr­e­f­fende Organ jeden­falls dann fort, wenn die ange­focht­ene Wahl — wie hier die tur­nus­mäßige Neuwahl 2020 — weit­er­hin Auswirkun­gen auf die aktuelle Zusam­menset­zung des Organs hat. Hin­sichtlich der Nach­wahl für das vom Kläger niedergelegte Amt hat sich sein haupt­säch­lich­es Begehren, die Wahl für ungültig zu erk­lären, zwar mit dem Ablauf der Amt­szeit im Jahr 2022 erledigt. Auch insoweit beste­ht aber ein Rechtss­chutz­in­ter­esse des Klägers an der Fort­führung des Ver­fahrens mit der von ihm hil­f­sweise beantragten Fest­stel­lung, dass die Nach­wahl wegen der von ihm behaupteten Wahlfehler rechtswidrig war, da die hohe Wahrschein­lichkeit beste­ht, dass sich die in diesem Zusam­men­hang zu klären­den Rechts­fra­gen kün­ftig zwis­chen den Ver­fahrens­beteiligten erneut in gle­ich­er Weise stellen. 

In der Sache ist der Auss­chluss des Klägers als Kan­di­dat für die Nach­wahl für den gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO nachzube­set­zen­den Sitz zu Recht erfol­gt. Das ergibt sich bere­its aus dem Wort­laut des § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO, nach dem eine Erset­zung des Aus­geschiede­nen durch ein neues Mit­glied, d.h. durch eine an seine Stelle tre­tende andere Per­son zu erfol­gen hat. Die Vorschrift enthält damit speziell für den Fall der Nach­wahl eine aus­drück­liche geset­zliche, die all­ge­meinen Auss­chlussregeln der §§ 65, 66 BRAO für diesen Fall ergänzende Regelung, gegen die auch keine durch­greifend­en ver­fas­sungsmäßi­gen Bedenken beste­hen. Der Auss­chluss des Klägers von der tur­nus­mäßi­gen Neuwahl war dage­gen man­gels geset­zlich­er Grund­lage rechtswidrig. § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO ist insoweit wed­er unmit­tel­bar noch ana­log anwend­bar. Diese Vorschrift bezieht sich nach Wort­laut, Entste­hungs­geschichte, Sys­tem­atik und Sinn und Zweck allein auf die Nach­wahl für den infolge der Amt­snieder­legung nachzube­set­zen­den Sitz. Sie bietet dage­gen keine Grund­lage dafür, den durch Amt­snieder­legung aus dem Vor­stand aus­geschiede­nen für die Dauer der restlichen Amt­szeit des von ihm niedergelegten Amtes auch als Kan­di­dat bei ein­er in diesem Zeitraum durchge­führten tur­nus­mäßi­gen Neuwahl auszuschließen. Schließlich war auch die Verbindung von Nach- und Neuwahl in einem ein­heitlichen Wahl­gang rechtswidrig. Insoweit ist § 68 Abs. 4 BRAO entsprechend anwend­bar, der für den Fall der gle­ichzeit­i­gen Ergänzungs- und tur­nus­mäßi­gen Neuwahl getren­nte Wahlgänge vorschreibt. Für den Fall der gle­ichzeit­i­gen Nach- und tur­nus­mäßi­gen Neuwahl liegt eine plan­widrige Regelungslücke des Geset­zes vor und die Inter­essen­lage bei­der Kon­stel­la­tio­nen ist vergleichbar.

Vorin­stanz:
AGH München — Urteil vom 22. Juli 2021 — BayAGH III — 4 — 9/20

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