BGH, Beschluss vom 07.02.2022, AZ VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21

Aus­gabe: 12–2021 / 01–2022

Der unter anderem für Schadenser­satzansprüche aus uner­laubten Hand­lun­gen, die den Vor­wurf ein­er unzuläs­si­gen Abschal­tein­rich­tung bei einem Kraft­fahrzeug mit Diesel­mo­tor zum Gegen­stand haben, zuständi­ge VII. Zivilse­n­at hat in vier gle­ichzeit­ig ver­han­del­ten Sachen über Schadenser­satzansprüche gegen die AUDI AG im Zusam­men­hang mit der soge­nan­nten “Umschalt­logik” beim Motortyp EA 189 entsch­ieden und hier­bei die stattgeben­den Entschei­dun­gen der Vorin­stanzen jew­eils bestätigt. 

Sachver­halt:

In den vier Ver­fahren nah­men die jew­eili­gen Klageparteien die beklagte Fahrzeugher­stel­lerin auf Schadenser­satz wegen Ver­wen­dung ein­er unzuläs­si­gen Abschal­tein­rich­tung für die Abgas­reini­gung in Anspruch. 

Der Kläger im Ver­fahren VII ZR 238/20 erwarb im April 2014 einen von der Beklagten hergestell­ten Pkw Audi Q5 2.0 TDI als Gebraucht­wa­gen zum Preis von 20.500 €. Die Klägerin im Ver­fahren VII ZR 243/20 erwarb im März 2014 einen von der Beklagten hergestell­ten Pkw Audi A3 1.6 TDI als Gebraucht­wa­gen zum Preis von 12.000 €. Der Kläger im Ver­fahren VII ZR 257/20 erwarb im Novem­ber 2014 einen von der Beklagten hergestell­ten Pkw Audi A5 Sport­back 2.0 TDI als Gebraucht­wa­gen zum Preis von 29.970 €. Der Kläger im Ver­fahren VII ZR 38/21 erwarb im Juni 2009 ein von der Beklagten hergestelltes Neu­fahrzeug Audi A4 2.0 TDI zum Preis von 30.526,80 €.

Die vier Fahrzeuge sind jew­eils mit einem von der Volk­swa­gen AG hergestell­ten Diesel­mo­tor der Bau­rei­he EA 189 aus­ges­tat­tet. Dieser ver­fügte über eine Soft­ware, die den Stick­ox­i­dausstoß im Prüf­s­tand ver­ringerte. Die Motors­teuerung war so pro­gram­miert, dass bei Mes­sung der Schad­stof­fe­mis­sio­nen auf einem Prüf­s­tand diese Sit­u­a­tion erkan­nt wird. Nach Bekan­ntwer­den der “Umschalt­logik” verpflichtete das Kraft­fahrt-Bun­de­samt (KBA) die Beklagte zur Ent­fer­nung der als unzuläs­sige Abschal­tein­rich­tung qual­i­fizierten Soft­ware und dazu, geeignete Maß­nah­men zur Wieder­her­stel­lung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Daraufhin wurde ein Soft­ware-Update entwick­elt, welch­es auf das Fahrzeug der jew­eili­gen Klagepartei aufge­spielt wurde. 

Bish­eriger Prozessverlauf: 

Die in der Haupt­sache zulet­zt jew­eils auf Erstat­tung des Kauf­preis­es abzüglich ein­er Nutzungsentschädi­gung Zug um Zug gegen Über­gabe und Übereig­nung des Fahrzeugs gerichteten Kla­gen hat­ten in den Vorin­stanzen über­wiegend Erfolg. 

Entschei­dung des Bundesgerichtshofs: 

Der Bun­des­gericht­shof hat mit seinen vier heute verkün­de­ten Urteilen die Revi­sio­nen der Beklagten zurückgewiesen
.
Das Beru­fungs­gericht hat im Ergeb­nis in allen vier Fällen einen Schadenser­satzanspruch der jew­eili­gen Klagepartei aus § 826 BGB zu Recht angenom­men. Es hat in tatrichter­lich­er Würdi­gung rechts­fehler­frei fest­gestellt, dass ein ver­fas­sungsmäßig berufen­er Vertreter der Beklagten im Sinne von § 31 BGB die objek­tiv­en und sub­jek­tiv­en Tatbe­standsvo­raus­set­zun­gen des § 826 BGB ver­wirk­licht hat. Die Beklagte han­delte sit­ten­widrig, indem sie Fahrzeuge mit dem von der Volk­swa­gen AG geliefer­ten Motor EA 189, darunter die stre­it­ge­gen­ständlichen Fahrzeuge, in den Verkehr brachte, obwohl nach den tatrichter­lichen Fest­stel­lun­gen wenig­stens eine ver­ant­wortlich für sie han­del­nde Per­son wusste, dass der Motor mit ein­er auf arglistige Täuschung des KBA abzie­len­den Prüf­s­tand­serken­nungssoft­ware aus­ges­tat­tet war. 

Zwar kann das sit­ten­widrige Ver­hal­ten eines ver­fas­sungsmäßig berufe­nen Vertreters ein­er juris­tis­chen Per­son ent­ge­gen der Annahme des Beru­fungs­gerichts nicht mit­tels ein­er Zurech­nung frem­den Wis­sens entsprechend § 166 BGB begrün­det wer­den (Anschluss an BGH, Urteil vom 8. März 2021 — VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669; Urteil vom 28. Juni 2016 — VI ZR 536/15, NJW 2017, 250). Auch schei­det vor­liegend die vom Beru­fungs­gericht angenommene Haf­tung wegen ein­er ange­blich unzuläs­si­gen Organ­i­sa­tion des Typ­genehmi­gungsver­fahrens aus. Eben­so wenig tragfähig sind die beru­fungs­gerichtlichen Erwä­gun­gen, die Beklagte sei verpflichtet und in der Lage gewe­sen, den Motor EA 189 eigen­ständig auf Geset­zesver­stöße zu über­prüfen und zu diesem Zweck Auskün­fte der Volk­swa­gen AG einzu­holen. Etwaige Ver­säum­nisse der Beklagten in dieser Hin­sicht kön­nten grund­sät­zlich nicht den für eine Haf­tung aus § 826 BGB erforder­lichen Vor­satz, son­dern lediglich einen Fahrläs­sigkeitsvor­wurf begründen. 

Das Beru­fungs­gericht hat jedoch in revi­sion­srechtlich nicht zu bean­standen­der Weise selb­ständig tra­gend die freie tatrichter­liche Überzeu­gung gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewon­nen, dass wenig­stens ein an der Entschei­dung über den Ein­satz des Motors EA 189 in Fahrzeu­gen der Beklagten beteiligter Repräsen­tant der Beklagten im Sinne des § 31 BGB von der — evi­dent unzuläs­si­gen (BGH, Beschluss vom 19. Jan­u­ar 2021 — VI ZR 433/19 Rn. 17, Ver­sR 2021, 388) — “Umschalt­logik” gewusst habe. 

Gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist es grund­sät­zlich Sache des Tatrichters, unter Berück­sich­ti­gung des gesamten Inhalts der Ver­hand­lun­gen und des Ergeb­niss­es ein­er etwaigen Beweisauf­nahme nach freier Überzeu­gung zu entschei­den, ob eine tat­säch­liche Behaup­tung für wahr oder nicht wahr zu eracht­en ist. Das Revi­sion­s­gericht kann insoweit nur prüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff umfassend und wider­spruchs­frei auseinan­derge­set­zt hat, die Würdi­gung also voll­ständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkge­set­ze oder Erfahrungssätze ver­stößt. Rechts­fehler in diesem Sinne hat die Revi­sion jew­eils nicht aufgezeigt. 

Weit­ere Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…