BGH, Beschluss vom 28.02.2022, AZ VII ZR 365/21, VII ZR 396/21, VII ZR 679/21, VII ZR 692/21 und VII ZR 717/21

Aus­gabe: 01/02–2022

Der unter anderem für Schadenser­satzansprüche aus uner­laubten Hand­lun­gen, die den Vor­wurf ein­er unzuläs­si­gen Abschal­tein­rich­tung bei einem Kraft­fahrzeug mit Diesel­mo­tor zum Gegen­stand haben, zuständi­ge VII. Zivilse­n­at hat in fünf gle­ichzeit­ig ver­han­del­ten “Die­selver­fahren” betr­e­f­fend die Volk­swa­gen AG, denen jew­eils der Erwerb eines Gebraucht­wa­gens zugrunde lag, entsch­ieden, dass nach Ein­tritt der Ver­jährung des gegen den Her­steller gerichteten Schadenser­satzanspruchs des Erwer­bers aus § 826 BGB kein Anspruch des Erwer­bers gegen den Her­steller gemäß § 852 Satz 1 BGB besteht. 

In den fünf Ver­fahren nahm die jew­eilige Klagepartei die beklagte Volk­swa­gen AG als Fahrzeug- bzw. Motorher­stel­lerin auf Zahlung von Schadenser­satz wegen der Ver­wen­dung ein­er unzuläs­si­gen Abschal­tein­rich­tung in Anspruch. Die von den Klageparteien jew­eils gebraucht bei einem Auto­händler bzw. einem Drit­ten erwor­be­nen Fahrzeuge sind mit Diesel­mo­toren der Bau­rei­he EA 189 (EU 5) aus­ges­tat­tet. Diese ver­fügten zum Zeit­punkt des Kaufs über eine Soft­ware, welche erkan­nte, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüf­s­tand befand, und in diesem Fall vom reg­ulären Abgas­rück­führungsmodus in einen Stick­ox­id-opti­mierten Modus wech­selte. Die Klageparteien ver­lan­gen jew­eils im Wesentlichen — unter Anrech­nung ein­er Nutzungsentschädi­gung — die Erstat­tung des für das Fahrzeug gezahlten Kauf­preis­es neb­st Zin­sen Zug um Zug gegen Rück­gabe des Fahrzeugs. Die Beklagte hat jew­eils die Einrede der Ver­jährung erhoben. 

- Zu den Ver­fahren VII ZR 365/21 und VII ZR 396/21

Sachver­halt:

Der Kläger im Ver­fahren VII ZR 365/21 erwarb im Sep­tem­ber 2015 einen gebraucht­en, von der Beklagten hergestell­ten Pkw VW Sha­ran TDI zum Preis von 24.400 €. Er hat im Juni 2020 Klage eingereicht. 

Der Kläger im Ver­fahren VII ZR 396/21 erwarb im August 2011 einen gebraucht­en, von der Beklagten hergestell­ten Pkw VW Tiguan TDI zum Preis von 25.150 €. Er hat im Dezem­ber 2019 Klage ein­gere­icht, die im Feb­ru­ar 2020 zugestellt wurde. 

Bish­eriger Prozessverlauf: 

Die Kla­gen hat­ten in den Vorin­stanzen keinen Erfolg. Das Beru­fungs­gericht (Ober­lan­des­gericht Stuttgart) hat angenom­men, dem Anspruch der Kläger aus § 826 BGB ste­he die von der Beklagten erhobene Einrede der Ver­jährung ent­ge­gen. Die drei­jährige Ver­jährungs­frist habe gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB jew­eils mit dem Schluss des Jahres 2015 zu laufen begonnen und daher mit Ablauf des Jahres 2018, also jew­eils vor Klageer­he­bung, geen­det. Den Klägern ste­he auch kein Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB zu, da sie die Fahrzeuge als Gebraucht­wa­gen erwor­ben hät­ten und die Beklagte nichts auf ihre Kosten erlangt habe. 

- Zu den Ver­fahren VII ZR 679/21, VII ZR 692/21 und VII ZR 717/21

Sachver­halt:

Die Klägerin im Ver­fahren VII ZR 679/21 erwarb im April 2014 einen gebraucht­en, von ein­er Tochterge­sellschaft der Beklagten hergestell­ten Pkw Audi A1 Ambi­tion 1,6 l TDI zum Preis von 19.800 €. Sie hat im Juli 2020 Klage eingereicht. 

Der Kläger im Ver­fahren VII ZR 692/21 erwarb im Feb­ru­ar 2015 einen gebraucht­en, von der Beklagten hergestell­ten Pkw VW Tiguan Sport & Style zum Preis von 19.400 €. Er hat im Sep­tem­ber 2020 Klage eingereicht. 

Der Kläger im Ver­fahren VII ZR 717/21 erwarb im März 2015 einen gebraucht­en, von der Beklagten hergestell­ten Pkw VW Pas­sat zum Preis von 13.000 €. Er hat im Sep­tem­ber 2020 Klage eingereicht. 

Bish­eriger Prozessverlauf: 

Das Landgericht hat­te den Kla­gen jew­eils über­wiegend stattgegeben, das Beru­fungs­gericht (Ober­lan­des­gericht Koblenz) hat sie abgewiesen. Schadenser­satzansprüche gegen die Beklagte aus § 826 BGB seien ver­jährt. Die drei­jährige Ver­jährungs­frist habe gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB mit dem Schluss der Jahre 2015 bzw. 2016 zu laufen begonnen und daher mit Ablauf der Jahre 2018 bzw. 2019, also jew­eils vor Klageer­he­bung, geen­det. Die von der Beklagten jew­eils in erster Instanz “fall­en gelassene” und in zweit­er Instanz erneut erhobene Einrede der Ver­jährung sei zu beacht­en. Die Klageparteien hät­ten gegen die Beklagte auch keine Ansprüche aus § 852 Satz 1 BGB, da sie die Fahrzeuge als Gebraucht­wa­gen erwor­ben hät­ten und die von ihnen entrichteten Kauf­preise der Beklagten nicht zugutegekom­men seien.

Mit ihren in allen fünf Ver­fahren jew­eils vom Beru­fungs­gericht zuge­lasse­nen Revi­sio­nen haben die Klageparteien ihre Klage­begehren weiterverfolgt. 

Die Entschei­dung des Bundesgerichtshofs: 

Der VII. Zivilse­n­at hat in vier Ver­fahren die Revi­sio­nen zurück­gewiesen; im fün­ften Ver­fahren (VII ZR 396/21) führte die Revi­sion des dor­ti­gen Klägers zur Aufhe­bung des Beru­fung­surteils und der Zurück­ver­weisung der Sache an das Berufungsgericht.

Schadenser­satzansprüchen der Klageparteien gemäß § 826 BGB stand in den Ver­fahren VII ZR 365/221, VII ZR 679/21, VII ZR 692/21 und VII ZR 717/21 die von der Beklagten erhobene Ver­jährung­seinrede ent­ge­gen, weil die insoweit maßge­bliche drei­jährige Ver­jährungs­frist nach § 195 BGB jew­eils vor Klageer­he­bung abge­laufen war. Nach der Recht­sprechung des Bun­des­gericht­shofs genügt es in Fällen der vor­liegen­den Art für den Beginn der Ver­jährung gemäß § 199 Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Ken­nt­nis vom soge­nan­nten Diesel­skan­dal im All­ge­meinen, von der konkreten Betrof­fen­heit seines Fahrzeugs und von der Rel­e­vanz dieser Betrof­fen­heit für seine Kaufentschei­dung hat, wobei let­ztere Ken­nt­nis nicht geson­dert fest­gestellt wer­den muss, son­dern naturgemäß beim Geschädigten vorhan­den ist (BGH, Urteil vom 21. Dezem­ber 2021 — VI ZR 212/20 Rn. 14; Beschluss vom 15. Sep­tem­ber 2021 — VII ZR 294/20 Rn. 6; Urteil vom 17. Dezem­ber 2020 — VI ZR 739/20 Rn. 20 ff.). 

Dass die jew­eilige Klagepartei all­ge­meine Ken­nt­nis vom soge­nan­nten Diesel­skan­dal hat­te, war in den Ver­fahren VII ZR 365/21 und VII ZR 679/21 unstre­it­ig; in den drei übri­gen Ver­fahren hat­ten die Beru­fungs­gerichte dies auf­grund der gebote­nen tatrichter­lichen Würdi­gung rechts­fehler­frei festgestellt. 

In den Ver­fahren VII ZR 365/21 und VII ZR 717/21 kon­nte auf sich beruhen, ob den dor­ti­gen Klägern infolge grober Fahrläs­sigkeit die konkrete Betrof­fen­heit ihres Fahrzeugs vom soge­nan­nten Diesel­skan­dal im Jahr 2015 unbekan­nt geblieben war. Denn die Klageparteien hat­ten jeden­falls im Jahr 2016 auf­grund eines Kun­de­nan­schreibens der Beklagten, aus dem sich die Betrof­fen­heit ihrer Fahrzeuge ergab, pos­i­tive Ken­nt­nis hier­von. Da ihnen die Klageer­he­bung noch im Jahr 2016 zumut­bar war, kon­nte die erst 2020 ein­gere­ichte Klage die schon mit Ende des Jahres 2019 abge­laufene drei­jährige Ver­jährungs­frist für den Schadenser­satzanspruch aus § 826 BGB nicht mehr hemmen. 

In den Ver­fahren VII ZR 679/21 und VII ZR 692/21 ist der Bun­des­gericht­shof davon aus­ge­gan­gen, dass die Klageparteien, die im Jahr 2015 all­ge­meine Ken­nt­nis vom Diesel­skan­dal erlangt und die sich bis Ende 2016 keine Ken­nt­nis von der Betrof­fen­heit ihres Fahrzeugs ver­schafft hat­ten, obwohl dies anhand öffentlich zugänglich­er Infor­ma­tion­squellen wie der von der Beklagten gestell­ten Online-Plat­tform leicht möglich gewe­sen wäre, der Vor­wurf grob fahrläs­siger Unken­nt­nis von dieser Betrof­fen­heit im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB trifft und den Parteien die Klageer­he­bung noch im Jahr 2016 auch zumut­bar war. Daher lief die drei­jährige Ver­jährungs­frist auch hier jew­eils Ende des Jahres 2019 ab. 

Soweit im Ver­fahren VII ZR 396/21 das Beru­fungs­gericht von ein­er solchen grob fahrläs­si­gen Unken­nt­nis des dor­ti­gen Klägers schon im Jahre 2015 aus­ge­gan­gen ist, erwies sich dies als rechts­fehler­haft. Selb­st wenn es dem Kläger noch in dem verbleiben­den — kurzen — Zeitraum seit Bekan­ntwer­den des soge­nan­nten Diesel­skan­dals und der Freis­chal­tung der betr­e­f­fend­en Online-Plat­tform im Okto­ber 2015 bis zum Jahre­sende möglich gewe­sen sein sollte, die Betrof­fen­heit des eige­nen Fahrzeugs zu ermit­teln, liegt darin, dass er in dem genan­nten Zeitraum hier­von keinen Gebrauch machte, kein schw­er­wiegen­der Obliegen­heitsver­stoß in eige­nen Angele­gen­heit­en. Mit Rück­sicht darauf, dass die Beklagte seit Sep­tem­ber 2015 mit zahlre­ichen Infor­ma­tio­nen an die Öffentlichkeit getreten war und auch weit­ere Erk­lärun­gen angekündigt hat­te, war ein Zuwarten des Klägers zumin­d­est bis zum Ende des Jahres 2015 nicht schlech­ter­d­ings unver­ständlich. Die Annahme des Beru­fungs­gerichts, ein Schadenser­satzanspruch des Klägers aus § 826 BGB sei ver­jährt, kon­nte daher keinen Bestand haben. 

Soweit — mit Aus­nahme des Ver­fahrens VII ZR 396/21 — die jew­eils mit der Klage gel­tend gemacht­en Ansprüche der Klageparteien aus § 826 BGB ver­jährt waren, haben die Beru­fungs­gerichte einen Anspruch der Klageparteien gemäß § 852 Satz 1 BGB zu Recht verneint. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift sollen dem­jeni­gen, der einen anderen durch uner­laubte Hand­lung schädigt und dadurch sein Ver­mö­gen mehrt, auch bei Ver­jährung des Schadenser­satzanspruchs nicht die auf diese Weise erlangten Vorteile verbleiben. Die dem Anspruch zugrun­deliegende Ver­mö­gensver­schiebung kann auch durch einen oder mehrere Dritte ver­mit­telt wer­den, solange sie in einem ursäch­lichen Zusam­men­hang mit der uner­laubten Hand­lung ste­ht. Wenn ein Ver­mö­gensver­lust beim Geschädigten einen entsprechen­den Ver­mö­gen­szuwachs beim Schädi­ger zur Folge gehabt hat, ist er daher nach § 852 Satz 1 BGB auch dann her­auszugeben, wenn diese Ver­mö­gensver­schiebung dem Schädi­ger durch Dritte ver­mit­telt wor­den ist. Unberührt bleibt davon die Notwendigkeit, dass der Ver­mö­gen­szuwachs auf dem Ver­mö­gensver­lust des Geschädigten beruhen muss. Daher set­zt ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB jeden­falls voraus, dass die Her­stel­lerin im Ver­hält­nis zum Geschädigten etwas aus dem Fahrzeugverkauf an diesen erlangt hat. 

Jeden­falls in mehrak­ti­gen Fällen wie bei dem Kauf eines von der Her­stel­lerin mit ein­er unzuläs­si­gen Abschal­tein­rich­tung in den Verkehr gebracht­en und von dem Geschädigten erst später von einem Drit­ten erwor­be­nen Gebraucht­wa­gens führt der let­zt­ge­nan­nte Erwerb­svor­gang indes zu kein­er Ver­mö­gensver­schiebung im Ver­hält­nis zwis­chen dem Geschädigten und der Her­stel­lerin. Denn der Her­stel­lerin, die einen etwaigen Vorteil bere­its mit dem Inverkehrbrin­gen des Fahrzeugs als Neuwa­gen real­isiert hat, fließt im Zusam­men­hang mit dem im Abschluss des unge­woll­ten Ver­trags liegen­den Ver­mö­genss­chaden des Geschädigten durch ihre uner­laubte Hand­lung nichts — mehr — zu. Bei einem Gebraucht­wa­gen­verkauf, der — wie hier — zwis­chen dem kla­gen­den Geschädigten und einem Drit­ten abgeschlossen wird, par­tizip­iert die Her­stel­lerin wed­er unmit­tel­bar noch mit­tel­bar an einem etwaigen Verkäufer­gewinn aus diesem Kaufver­trag, sei es, dass der Gebraucht­wa­gen von ein­er Pri­vat­per­son oder von einem Händler an den Geschädigten verkauft wurde. Deshalb schei­det in diesen Fällen ein Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB aus. 

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