Bun­de­sar­beits­gericht, Beschluss vom 08.06.2022, AZ 5 AZR 359/21

Aus­gabe: 05–2022

Der Arbeit­nehmer hat zur Begrün­dung ein­er Klage auf Vergü­tung geleis­teter Über­stun­den – kurz zusam­menge­fasst – erstens darzule­gen, dass er Arbeit in einem die Nor­malar­beit­szeit über­steigen­den Umfang geleis­tet oder sich auf Weisung des Arbeit­ge­bers hierzu bere­it­ge­hal­ten hat. Da der Arbeit­ge­ber Vergü­tung nur für von ihm ver­an­lasste Über­stun­den zahlen muss, hat der Arbeit­nehmer zweit­ens vorzu­tra­gen, dass der Arbeit­ge­ber die geleis­teten Über­stun­den aus­drück­lich oder kon­klu­dent ange­ord­net, geduldet oder nachträglich gebil­ligt hat. Diese vom Bun­de­sar­beits­gericht entwick­el­ten Grund­sätze zur Verteilung der Dar­legungs- und Beweis­last für die Leis­tung von Über­stun­den durch den Arbeit­nehmer und deren Ver­an­las­sung durch den Arbeit­ge­ber wer­den durch die auf Union­srecht beruhende Pflicht zur Ein­führung eines Sys­tems zur Mes­sung der vom Arbeit­nehmer geleis­teten täglichen Arbeit­szeit nicht verändert.

Der Kläger war als Aus­liefer­ungs­fahrer bei der Beklagten, die ein Einzel­han­del­sun­ternehmen betreibt, beschäftigt. Seine Arbeit­szeit erfasste der Kläger mit­tels tech­nis­ch­er Zeitaufze­ich­nung, wobei nur Beginn und Ende der täglichen Arbeit­szeit, nicht jedoch die Pausen­zeit­en aufgeze­ich­net wur­den. Zum Ende des Arbeitsver­hält­niss­es ergab die Auswer­tung der Zeitaufze­ich­nun­gen einen pos­i­tiv­en Sal­do von 348 Stun­den zugun­sten des Klägers. Mit sein­er Klage hat der Kläger Über­stun­den­vergü­tung in Höhe von 5.222,67 Euro brut­to ver­langt. Er hat gel­tend gemacht, er habe die gesamte aufgeze­ich­nete Zeit gear­beit­et. Pausen zu nehmen sei nicht möglich gewe­sen, weil son­st die Aus­liefer­ungsaufträge nicht hät­ten abgear­beit­et wer­den kön­nen. Die Beklagte hat dies bestritten.

Das Arbeits­gericht Emden hat der Klage stattgegeben. Es hat gemeint, durch das Urteil des Gericht­shofs der Europäis­chen Union (EuGH) vom 14. Mai 2019 – C‑55/18 – [CCOO], wonach die Mit­glied­staat­en die Arbeit­ge­ber verpflicht­en müssen, ein objek­tives, ver­lässlich­es und zugänglich­es Arbeit­szeit­er­fas­sungssys­tem einzuführen, werde die Dar­legungslast im Über­stun­den­vergü­tung­sprozess mod­i­fiziert. Die pos­i­tive Ken­nt­nis von Über­stun­den als eine Voraus­set­zung für deren arbeit­ge­ber­seit­ige Ver­an­las­sung sei jeden­falls dann nicht erforder­lich, wenn der Arbeit­ge­ber sich die Ken­nt­nis durch Ein­führung, Überwachung und Kon­trolle der Arbeit­szeit­er­fas­sung hätte ver­schaf­fen kön­nen. Aus­re­ichend für eine schlüs­sige Begrün­dung der Klage sei, die Zahl der geleis­teten Über­stun­den vorzu­tra­gen. Da die Beklagte ihrer­seits nicht hin­re­ichend konkret die Inanspruch­nahme von Pausen­zeit­en durch den Kläger dargelegt habe, sei die Klage begründet.

Das Lan­desar­beits­gericht hat das Urteil des Arbeits­gerichts abgeän­dert und die Klage – mit Aus­nahme bere­its von der Beklagten abgerech­neter Über­stun­den – abgewiesen. Die hierge­gen gerichtete Revi­sion des Klägers hat­te vor dem Fün­ften Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts keinen Erfolg. Das Beru­fungs­gericht hat richtig erkan­nt, dass vom Erforder­nis der Dar­legung der arbeit­ge­ber­seit­i­gen Ver­an­las­sung und Zurech­nung von Über­stun­den durch den Arbeit­nehmer auch nicht vor dem Hin­ter­grund der genan­nten Entschei­dung des EuGH abzurück­en ist. Diese ist zur Ausle­gung und Anwen­dung der Arbeit­szeitrichtlin­ie 2003/88/EG und von Art. 31 der Char­ta der Grun­drechte der Europäis­chen Union ergan­gen. Nach gesichert­er Recht­sprechung des EuGH beschränken sich diese Bes­tim­mungen darauf, Aspek­te der Arbeit­szeit­gestal­tung zu regeln, um den Schutz der Sicher­heit und der Gesund­heit der Arbeit­nehmer zu gewährleis­ten. Sie find­en indes grund­sät­zlich keine Anwen­dung auf die Vergü­tung der Arbeit­nehmer. Die union­srechtlich begrün­dete Pflicht zur Mes­sung der täglichen Arbeit­szeit hat deshalb keine Auswirkung auf die nach deutschem materiellen und Prozess­recht entwick­el­ten Grund­sätze über die Verteilung der Dar­legungs- und Beweis­last im Über­stun­den­vergü­tung­sprozess. Hier­von aus­ge­hend hat das Lan­desar­beits­gericht zutr­e­f­fend angenom­men, der Kläger habe nicht hin­re­ichend konkret dargelegt, dass es erforder­lich gewe­sen sei, ohne Pausen­zeit­en durchzuar­beit­en, um die Aus­liefer­ungs­fahrten zu erledi­gen. Die bloße pauschale Behaup­tung ohne nähere Beschrei­bung des Umfangs der Arbeit­en genügt hier­für nicht. Das Beru­fungs­gericht kon­nte daher offen­lassen, ob die von der Beklagten bestrit­tene Behaup­tung des Klägers, er habe keine Pausen gehabt, über­haupt stimmt.

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