Arbeits­gericht Kiel, Beschluss vom 20.07.2022, AZ 5 Ca 229 f/22

Aus­gabe: 07–2022

Wer seinen Urlaub in einem als Coro­na-Hochrisiko­ge­bi­et aus­gewiese­nen Land ver­bringt und im Anschluss an Coro­na erkrankt, hat seine Erkrankung nicht im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 Ent­gelt­fortzahlungs­ge­setz ver­schuldet, wenn die Inzi­denz im gle­ichen Zeitraum am Wohn- und Arbeit­sort bzw. in Deutsch­land höher liegt. Die Wer­tung des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG (Infek­tion­ss­chutzge­setz) find­et keine Anwen­dung. Dies hat das Arbeits­gericht Kiel am 27. Juni 2022 entsch­ieden (5 Ca 229 f/22).

Die dreifach geimpfte Klägerin reiste im Januar/Februar 2022 in die Dominikanis­che Repub­lik. Diese war vom Robert-Koch-Insti­tut im Jan­u­ar 2022 als Hochrisiko­ge­bi­et aus­gewiesen wor­den. Am Abflug­tag lag dort die Inzi­denz bei 377,7 und in Deutsch­land bei 878,9. Rund eine Woche nach Beendi­gung der Reise war die Inzi­denz in der Dominikanis­chen Repub­lik auf 72,5 gefall­en und in Deutsch­land auf 1.465,4 gestiegen. Im direk­ten Anschluss an die Reise wurde die Klägerin pos­i­tiv auf Coro­na getestet und legte der Arbeit­ge­berin eine Arbeit­sun­fähigkeits­bescheini­gung vor. Diese erkan­nte die Beklagte nicht an und leis­tete für den aus­gewiese­nen Zeitraum keine Ent­gelt­fortzahlung. Die Klägerin sei man­gels Symp­tomen nicht arbeit­sun­fähig gewe­sen und habe die Erkrankung durch ihren Reiseantritt schuld­haft her­beige­führt. Mit ihrer Klage macht die Klägerin vor Gericht erfol­gre­ich Ent­gelt­fortzahlung geltend.

Das Arbeits­gericht führt aus, dass ein Arbeit­nehmer auch dann arbeit­sun­fähig ist, wenn er symp­tom­los Coro­na-pos­i­tiv getestet ist und nicht im Home­of­fice tätig sein kann. Im Übri­gen lässt die Infor­ma­tion der Klägerin an die Arbeit­ge­berin, dass es ihr ganz gut gehe, den hohen Beweiswert der Arbeit­sun­fähigkeits­bescheini­gung nicht ent­fall­en. Die gegen die Klägerin ange­ord­nete Quar­an­täne schließt den Ent­gelt­fortzahlungsanspruch nicht aus.

Ins­beson­dere hat die Klägerin ihre Arbeit­sun­fähigkeit auch nicht ver­schuldet. Dies set­zt einen groben Ver­stoß gegen das Eigen­in­ter­esse eines ver­ständi­gen Men­schen voraus. Dies entspricht nicht der Wer­tung des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG. Jeden­falls dann, wenn die Inzi­den­zw­erte im Urlaub­s­ge­bi­et nicht deut­lich über den Inzi­den­zw­erten des Wohn- und Arbeit­sortes bzw. der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land liegen, ver­stößt der Arbeit­nehmer nicht in grober Weise gegen sein Eigen­in­ter­esse. Die Reise in das Hochrisiko­ge­bi­et geht in diesen Fällen nicht über das all­ge­meine Leben­srisiko hinaus.

Die Beru­fung ist wegen grund­sät­zlich­er Bedeu­tung zuge­lassen worden.

Die Entschei­dung ist nicht rechtskräftig.

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