BGH, Beschluss vom 28.11.2022, AZ V ZR 213/21

Aus­gabe: 10/11–2022

Der V. Zivilse­n­at des Bun­des­gericht­shofs hat heute entsch­ieden, dass die Gemein­schaft der Woh­nung­seigen­tümer auch nach der Reform des Woh­nung­seigen­tums­ge­set­zes die auf Besei­t­i­gung von Män­geln am Gemein­schaft­seigen­tum gerichteten Rechte der Erwer­ber von Woh­nung­seigen­tum weit­er­hin durch Mehrheits­beschluss zur alleini­gen Durch­set­zung an sich ziehen kann. Darüber hin­aus sind die Voraus­set­zun­gen für eine Haf­tung des Verkäufers eines Grund­stücks wegen Alt­las­ten bzw. eines Alt­las­ten­ver­dachts präzisiert worden. 

Sachver­halt:

Die Klägerin ist eine Gemein­schaft der Woh­nung­seigen­tümer. Die Woh­nung­seigen­tum­san­lage befind­et sich auf einem in München bele­ge­nen Grund­stück, das ursprünglich im Eigen­tum der Beklagten, einem Immo­bilienun­ternehmen, stand. Die Beklagte teilte das Grund­stück mit dem beste­hen­den Gebäude im Jahr 2012 in Woh­nung­seigen­tum auf und begann mit dem Verkauf der Ein­heit­en. Für den zunächst beab­sichtigten Bau ein­er Tief­garage ließ sie im Früh­jahr 2013 die Böden des Innen­hofs und der Außen­flächen der Anlage unter­suchen. Dabei wurde eine ehe­ma­lige Kies­grube aufge­fun­den, deren aufge­füllte Böden, wie weit­ere Unter­suchun­gen zeigten, unter­schiedlich mit Schad­stof­fen belastet sind. Die Beklagte stoppte daraufhin zunächst den Verkauf und informierte die Stadt München. Behördlich ange­ord­nete Unter­suchun­gen des Ober­bo­dens auf Alt­las­ten ergaben Belas­tun­gen u.a. mit Benzo(a)pyren (BaP). In ein­er von der Beklagten in Auf­trag gegebe­nen gutachter­lichen Bew­er­tung der Unter­suchungsergeb­nisse wurde für den Innen­hof ein Bode­naus­tausch bis zu ein­er Tiefe von 30 cm vorgeschla­gen. Auf einen Aus­tausch des tiefer liegen­den Bodens könne wegen der geplanten Errich­tung der Tief­garage verzichtet wer­den. Maß­nah­men im südlichen Außen­bere­ich seien trotz der fest­gestell­ten Belas­tun­gen wegen ein­er möglichen Einzäu­nung der betrof­fe­nen Bere­iche nicht erforder­lich. Ab dem 29. Mai 2013 set­zte die Beklagte den Verkauf der Woh­nun­gen fort. In den Kaufverträ­gen wies sie auf eine allein den Innen­hof betr­e­f­fende Alt­las­te­nauskun­ft der Stadt München hin und verpflichtete sich zur Durch­führung der für den Innen­hof vorgeschla­ge­nen Sicherungs­maß­nah­men. Die Haf­tung für eine Alt­las­ten­frei­heit des Grund­stücks außer­halb des Innen­hofs wurde aus­geschlossen. In der Fol­gezeit tauschte die Beklagte den Ober­bo­den des Innen­hofes in ein­er Tiefe von 20 cm aus. Der Bau ein­er Tief­garage erfol­gte dage­gen nicht. In zwei Eigen­tümerver­samm­lun­gen im Mai 2014 und im Okto­ber 2015 beschlossen die Woh­nung­seigen­tümer mehrheitlich die gerichtliche Gel­tend­machung möglich­er Ansprüche wegen Alt­las­ten im Innen­hof und im südlichen Außenbereich. 

Bish­eriger Prozessverlauf: 

Das Landgericht hat der mit dem Haup­tantrag beansprucht­en Fest­stel­lung des Beste­hens von Män­ge­lansprüchen teil­weise stattgegeben. In der Beru­fungsin­stanz hat das Ober­lan­des­gericht den Haup­tantrag als unzuläs­sig abgewiesen und auf den Hil­f­santrag der Klägerin die Beklagte zur Besei­t­i­gung der vorhan­de­nen Alt­las­ten durch Sanierung des Innen­hofs und des südlichen Außen­bere­ichs verurteilt, jedoch nur, soweit jew­eils der Wert von 0,5 mg/kg BaP über­schrit­ten wird. Mit der von dem Ober­lan­des­gericht zuge­lasse­nen Revi­sion hat die beklagte Verkäuferin die voll­ständi­ge Abweisung der Klage erstrebt. Die Klägerin hat mit der Anschlussre­vi­sion ihr Klage­begehren weit­er­ver­fol­gt, soweit dieses erfol­g­los geblieben ist. 

Entschei­dung des Bundesgerichtshofs: 

Der Bun­des­gericht­shof hat das Urteil auf die Revi­sion der Beklagten aufge­hoben, soweit die Beklagte zur Besei­t­i­gung verurteilt wor­den ist. Insoweit ist die Sache zur neuen Ver­hand­lung und Entschei­dung an das Ober­lan­des­gericht zurück­ver­wiesen wor­den. Die Anschlussre­vi­sion der Klägerin hat keinen Erfolg gehabt. 

Dem liegen fol­gende Erwä­gun­gen zu Grunde: 

Der Hil­f­santrag ist zuläs­sig. Ins­beson­dere ist die Klägerin für die Gel­tend­machung des Nachbesserungsanspruchs prozess­führungs­befugt. Dies beruht auf den im Mai 2014 und Okto­ber 2015 gefassten Beschlüssen der Woh­nung­seigen­tümer. Allerd­ings ist die Regelung zu der “Verge­mein­schaf­tung durch Mehrheits­beschluss” in § 10 Abs. 6 Satz 3 Halb­satz 2 WEG aF infolge der während des Beru­fungsver­fahrens in Kraft getrete­nen Reform des Woh­nung­seigen­tums­ge­set­zes ersat­z­los ent­fall­en. Dieser Bes­tim­mung zufolge kon­nte die Gemein­schaft der Woh­nung­seigen­tümer im Rah­men der ord­nungsmäßi­gen Ver­wal­tung die Ausübung der den einzel­nen Erwer­bern aus den jew­eili­gen Verträ­gen mit dem Veräußer­er zuste­hen­den Rechte auf ord­nungs­gemäße Her­stel­lung des Gemein­schaft­seigen­tums durch Mehrheits­beschluss an sich ziehen. Nun­mehr regelt § 9a Abs. 2 WEG nur noch die soge­nan­nte “geborene Ausübungs­befug­nis”; danach kann die Gemein­schaft der Woh­nung­seigen­tümer (ohne weit­eres) die sich aus dem gemein­schaftlichen Eigen­tum ergeben­den Rechte sowie solche Rechte der Woh­nung­seigen­tümer ausüben, die eine ein­heitliche Rechtsver­fol­gung erfordern, und sie nimmt die entsprechen­den Pflicht­en der Woh­nung­seigen­tümer wahr. 

Gle­ich­wohl kön­nen, wie der Bun­des­gericht­shof nun gek­lärt hat, Ansprüche aus den Erwerb­sverträ­gen, die die Män­gelbe­sei­t­i­gung betr­e­f­fen, weit­er­hin durch Mehrheits­beschluss “verge­mein­schaftet” wer­den. Das hat hier zur Folge, dass die Prozess­führungs­befug­nis der Klägerin fortbeste­ht. § 9a Abs. 2 WEG nF erfasst jeden­falls nicht die primären Män­gel­rechte der Woh­nung­seigen­tümer. Diese Ansprüche ergeben sich nicht aus dem gemein­schaftlichen Eigen­tum, son­dern aus den indi­vidu­ellen Erwerb­sverträ­gen, die die Woh­nung­seigen­tümer mit dem teilen­den Eigen­tümer geschlossen haben. Sie erfordern keine ein­heitliche Rechtsver­fol­gung. Denn der Woh­nung­seigen­tümer, der selb­ständig die Män­gelbe­sei­t­i­gung gegen den Veräußer­er ver­fol­gt, han­delt grund­sät­zlich auch im wohlver­stande­nen Inter­esse aller anderen Woh­nung­seigen­tümer, und er darf seine ver­traglichen Rechte im Grund­satz selb­st wahrnehmen. 

Eine Verge­mein­schaf­tung der auf das Gemein­schaft­seigen­tum bezo­ge­nen Erfül­lungs- und Nacher­fül­lungsansprüche der Woh­nung­seigen­tümer durch Mehrheits­beschluss wird durch § 9a Abs. 2 WEG ander­er­seits nicht aus­geschlossen. Die Beschlusskom­pe­tenz der Gemein­schaft der Woh­nung­seigen­tümer ergibt sich in der Sache unverän­dert auf­grund der Ver­wal­tungs­befug­nis für das gemein­schaftliche Eigen­tum sowie der in § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG geregel­ten Pflicht zu dessen Erhal­tung. Hier­für spricht auch die Geset­zes­be­grün­dung, der zufolge die bish­erige Recht­sprechung des Bun­des­gericht­shofs zum Bauträger­recht, nach der eine Verge­mein­schaf­tung von werkver­traglichen Erfül­lungs- und Nacher­fül­lungsansprüchen möglich war, fort­gel­ten soll. Entsprechen­des muss für die Verge­mein­schaf­tung von kaufrechtlichen Erfül­lungs- und Nacher­fül­lungsansprüchen gel­ten. Nur diese Sichtweise trägt der nach der Reform unverän­derten Inter­essen­lage der Woh­nung­seigen­tümer hin­re­ichend Rech­nung. Dass die Ver­wal­tung des gemein­schaftlichen Eigen­tums nun­mehr der Gemein­schaft der Woh­nung­seigen­tümer obliegt, hat nichts daran geän­dert, dass es Sache der Woh­nung­seigen­tümer ist, in der Eigen­tümerver­samm­lung darüber zu befind­en, auf welche Weise Män­gel am Gemein­schaft­seigen­tum zu beseit­i­gen sind. Ord­nungsmäßiger Ver­wal­tung wird es auch weit­er­hin in aller Regel entsprechen, einen gemein­schaftlichen Willen darüber zu bilden, wie die ord­nungs­gemäße Her­stel­lung des Gemein­schaft­seigen­tums zu bewirken ist und ggf. welche ver­traglichen Ansprüche gel­tend gemacht wer­den sollen. 

In der Sache trägt die von dem Beru­fungs­gericht gegebene Begrün­dung die Verurteilung der Beklagten zur Nacher­fül­lung nach § 439 Abs. 1 BGB nicht. Zwar ist die Annahme, dass das Grund­stück wegen des Vorfind­ens ein­er aufge­füll­ten Kies­grube und eines hier­durch begrün­de­ten Alt­las­ten­ver­dachts einen Man­gel iSd § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB aF aufweist, nicht zu bean­standen. Die von dem Verkäufer wegen eines Alt­las­ten­ver­dachts geschuldete Nachbesserung umfasst aber zunächst nur die Aus­räu­mung des Ver­dachts durch Aufk­lärungs­maß­nah­men. Ein Alt­las­ten­ver­dacht recht­fer­tigt hinge­gen nicht die Sanierung des Grund­stücks, zu der die Beklagte von dem Beru­fungs­gericht verurteilt wor­den ist. Die Besei­t­i­gung von Alt­las­ten kann der Käufer erst dann ver­lan­gen, wenn sich der Ver­dacht bestätigt. Entschei­dend ist deshalb, ob über den Alt­las­ten­ver­dacht hin­aus eine tat­säch­liche Boden­be­las­tung in einem Umfang vor­liegt, der die von dem Beru­fungs­gericht aus­ge­sproch­ene Verurteilung zur Sanierung trägt. Hier­von kann auf der Grund­lage der bis­lang getrof­fe­nen Fest­stel­lun­gen nicht aus­ge­gan­gen wer­den. Eine von der üblichen Beschaf­fen­heit abwe­ichende Belas­tung eines Grund­stücks mit Schad­stof­fen und damit ein Man­gel ist anzunehmen, wenn nach öffentlich-rechtlichen Kri­te­rien eine schädliche Boden­verän­derung oder eine Alt­last im Sinne des Bun­des­bo­den­schutzge­set­zes vor­liegt (§ 2 Abs. 3 bzw. Abs. 5 BBod­SchG). Für die Beurteilung, ob eine Belas­tung des Grund­stücks mit Schad­stof­fen einen Sach­man­gel darstellt, kön­nen die zur behördlichen Gefährdungsab­schätzung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 BBod­SchG maßge­blichen Prüf- und Maß­nah­men­werte herange­zo­gen wer­den. Liegen der Gehalt oder die Konzen­tra­tion eines Schad­stoffes unter­halb des jew­eili­gen Prüfw­ertes, ist insoweit der Ver­dacht ein­er schädlichen Boden­verän­derung oder Alt­last nach § 4 Abs. 2 Satz 1 BBod­SchV aus­geräumt, und das Grund­stück weist regelmäßig die übliche Beschaf­fen­heit auf. Ander­er­seits begrün­det allein die Über­schre­itung von Prüfw­erten, von der das Beru­fungs­gericht hier ohne Rechts­fehler aus­ge­gan­gen ist, keinen über den Alt­las­ten­ver­dacht hin­aus­ge­hen­den Sach­man­gel, son­dern erhärtet lediglich einen bere­its beste­hen­den (all­ge­meinen) Ver­dacht. Da das Beru­fungs­gericht keine hin­re­ichen­den Fest­stel­lun­gen dazu getrof­fen hat, dass im Innen­hof und im südlichen Außen­bere­ich des Grund­stücks auch Maß­nah­men­werte nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BBod­SchG über­schrit­ten wer­den, hat der Bun­des­gericht­shof die Verurteilung der Beklagten aufgehoben. 

Die Voraus­set­zun­gen für eine abschließende Entschei­dung über die Revi­sion der Beklagten liegen nicht vor. Abweisungsreif ist der Hil­f­santrag nicht. Auf den in den Kaufverträ­gen vere­in­barten Haf­tungsauss­chluss kann sich die Beklagte nach § 444 BGB nicht berufen. Ver­schweigt der Verkäufer arglistig einen ihm bekan­nten Alt­las­ten­ver­dacht und bestätigt sich später der Ver­dacht, han­delt er in aller Regel auch im Hin­blick auf die – hier zu Gun­sten der Klägerin zu unter­stel­len­den — tat­säch­lich vorhan­de­nen Alt­las­ten arglistig. Den in den ab dem 29. Mai 2013 geschlosse­nen Kaufverträ­gen enthal­te­nen Hin­weis auf die Alt­las­ten­prob­lematik sieht das Beru­fungs­gericht rechts­fehler­frei als bagatel­lisierend und deshalb als unzure­ichend an. Zutr­e­f­fend ist schließlich, dass der Anspruch gemäß § 439 Abs. 1 BGB bei dem Kauf ein­er gebraucht­en Eigen­tumswoh­nung und Män­geln des Gemein­schaft­seigen­tums auf volle – hier von der Klägerin ver­langte — Nacher­fül­lung gerichtet ist. Es beste­ht nicht lediglich ein auf die Quote des Miteigen­tum­san­teils beschränk­ter Anspruch auf Freis­tel­lung von Män­gelbe­sei­t­i­gungskosten. Schließlich kann der Hil­f­santrag auch nicht deshalb abgewiesen wer­den, weil er auf ein zu weitre­ichen­des Ziel, näm­lich eine Sanierung, gerichtet ist, obwohl derzeit nur eine Gefahrerforschung ver­langt wer­den kann. Zu diesem erst­ma­lig von dem Sen­at her­vorge­hobe­nen Gesicht­spunkt muss den Parteien Gele­gen­heit zur Stel­lung­nahme gegeben und die Möglichkeit eingeräumt wer­den, ggf. die Anträge umzustellen sowie ergänzend Beweis anzubieten. 

Die Anschlussre­vi­sion der Klägerin ist unbe­grün­det, weil der von ihr weit­er ver­fol­gte Fest­stel­lungsantrag man­gels Bes­timmtheit unzuläs­sig ist. 

Weit­ere Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…