BGH, Beschluss vom 24.09.2020, AZ VI ZR 5/20

Aus­gabe: 7–9/2020

Der unter anderem für das Recht der uner­laubten Hand­lung zuständi­ge VI. Zivilse­n­at hat heute über einen Fall entsch­ieden, in dem der Käufer einen mit ein­er unzuläs­si­gen Abschal­tein­rich­tung verse­henen Gebraucht­wa­gen erst nach Bekan­ntwer­den des soge­nan­nten Diesel­skan­dals gekauft hat. Der Sen­at hat in diesem Fall Schadenser­satzansprüche verneint.

Sachver­halt

Der Kläger erwarb im August 2016 von einem Auto­händler einen gebraucht­en VW Touran Match zu einem Kauf­preis von 13.600 €, der mit einem 2,0‑Liter Diesel­mo­tor des Typs EA189, Schad­stoffnorm Euro 5 aus­ges­tat­tet ist. Die Beklagte ist Her­stel­lerin des Wagens. Der Motor war mit ein­er Soft­ware verse­hen, die erken­nt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüf­s­tand im Test­be­trieb befind­et, und in diesem Fall in einen Stick­ox­id-opti­mierten Modus schal­tet. Es ergaben sich dadurch auf dem Prüf­s­tand gerin­gere Stick­ox­id-Emis­sion­swerte als im nor­malen Fahrbe­trieb. Die Stick­ox­id­gren­zw­erte der Euro 5‑Norm wur­den nur auf dem Prüf­s­tand eingehalten.

Vor dem Erwerb des Fahrzeugs, am 22. Sep­tem­ber 2015, hat­te die Beklagte in ein­er Pressemit­teilung die Öffentlichkeit über Unregelmäßigkeit­en der ver­wen­de­ten Soft­ware bei Diesel­mo­toren vom Typ EA189 informiert und mit­geteilt, dass sie daran arbeite, die Abwe­ichun­gen zwis­chen Prüf­s­tandswerten und realem Fahrbe­trieb mit tech­nis­chen Maß­nah­men zu beseit­i­gen, und dass sie hierzu mit dem Kraft­fahrt-Bun­de­samt in Kon­takt ste­he. Das Kraft­fahrt-Bun­de­samt hat­te im Okto­ber 2015 nachträgliche Nebenbes­tim­mungen zur Typ­genehmi­gung erlassen und der Beklagten aufgegeben, die Vorschriftsmäßigkeit der bere­its im Verkehr befind­lichen Fahrzeuge zu gewährleis­ten. In der Folge hat die Beklagte bei Fahrzeu­gen mit dem betrof­fe­nen Motortyp ein Soft­ware-Update bere­it­gestellt, das nach August 2016 auch bei dem Fahrzeug des Klägers aufge­spielt wurde. Das The­ma war Gegen­stand ein­er umfan­gre­ichen und wieder­holten Berichter­stat­tung in Presse, Funk und Fernsehen. 

Mit sein­er Klage ver­langt der Kläger im Wesentlichen Ersatz des für das Fahrzeug gezahlten Kauf­preis­es neb­st Zin­sen Zug um Zug gegen Rück­gabe des Fahrzeugs. 

Bish­eriger Prozessverlauf 

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Ober­lan­des­gericht hat die Beru­fung des Klägers zurückgewiesen. 

Entschei­dung des Senats: 

Die Revi­sion des Klägers, mit der er sein Klageziel weit­er­ver­fol­gt hat, blieb ohne Erfolg. 

Es ist nicht zu bean­standen, dass das Beru­fungs­gericht Ansprüche aus § 826 BGB deshalb verneint hat, weil das Ver­hal­ten der Beklagten gegenüber dem Kläger nicht als sit­ten­widrig anzuse­hen ist. Für die Bew­er­tung eines schädi­gen­den Ver­hal­tens als sit­ten­widrig im Sinne von § 826 BGB ist in ein­er Gesamtschau dessen Gesamtcharak­ter zu ermit­teln und das gesamte Ver­hal­ten des Schädi­gers bis zum Ein­tritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu leg­en. Dies wird ins­beson­dere dann bedeut­sam, wenn die erste poten­ziell schaden­sursäch­liche Hand­lung und der Ein­tritt des Schadens zeitlich auseinan­der­fall­en und der Schädi­ger sein Ver­hal­ten zwis­chen­zeitlich nach außen erkennbar geän­dert hat. 

War das Ver­hal­ten der Beklagten gegenüber Käufern, die ein mit ein­er ille­galen Abschal­tein­rich­tung verse­henes Fahrzeug vor dem 22. Sep­tem­ber 2015 erwar­ben, sit­ten­widrig (vgl. Sen­at­surteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 16 ff.), so wur­den durch die vom Beru­fungs­gericht fest­gestellte Ver­hal­tensän­derung der Beklagten wesentliche Ele­mente, die das Unwer­turteil ihres bish­eri­gen Ver­hal­tens gegenüber bish­eri­gen Käufern begrün­de­ten, der­art rel­a­tiviert, dass der Vor­wurf der Sit­ten­widrigkeit bezo­gen auf ihr Gesamtver­hal­ten ger­ade gegenüber dem Kläger nicht mehr gerecht­fer­tigt ist. So war bere­its die Mit­teilung der Beklagten vom 22. Sep­tem­ber 2015 objek­tiv geeignet, das Ver­trauen poten­zieller Käufer von Gebraucht­wa­gen mit VW-Diesel­mo­toren in eine vorschrifts­gemäße Abgastech­nik zu zer­stören, dies­bezügliche Arglosigkeit also zu beseit­i­gen. Auf­grund der Ver­laut­barung und ihrer als sich­er vorherzuse­hen­den medi­alen Ver­bre­itung war typ­is­cher­weise nicht mehr damit zu rech­nen, dass Käufer von gebraucht­en VW-Fahrzeu­gen mit Diesel­mo­toren die Erfül­lung der hier maßge­blichen geset­zlichen Vor­gaben noch als selb­stver­ständlich voraus­set­zen wür­den. Für die Aus­nutzung ein­er dies­bezüglichen Arglosigkeit war damit kein Raum mehr; hier­auf kon­nte das geän­derte Ver­hal­ten der Beklagten nicht mehr gerichtet sein. Käufern, die sich, wie der Kläger, erst für einen Kauf entsch­ieden haben, nach­dem die Beklagte ihr Ver­hal­ten geän­dert hat­te, wurde deshalb — unab­hängig von ihren Ken­nt­nis­sen vom “Diesel­skan­dal” im All­ge­meinen und ihren Vorstel­lun­gen von der Betrof­fen­heit des Fahrzeugs im Beson­deren — nicht sit­ten­widrig ein Schaden zugefügt.
Auch Ansprüche aus son­sti­gen Vorschriften hat der Sen­at verneint. 

Weit­ere Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…