Bun­de­sar­beits­gericht, Beschluss vom 27.02.2023, AZ 9 AZR 244/20

Aus­gabe: 02–2023

Der geset­zliche Anspruch eines Arbeit­nehmers gegen den Arbeit­ge­ber, nicht genomme­nen Urlaub nach der Beendi­gung des Arbeitsver­hält­niss­es abzugel­ten, kann nach Maß­gabe ein­er tar­ifver­traglichen Auss­chlussfrist ver­fall­en. Endete das Arbeitsver­hält­nis vor der Entschei­dung des Gericht­shofs der Europäis­chen Union (EuGH) vom 6. Novem­ber 2018* und oblag es dem Arbeit­nehmer auf­grund der gegen­läu­fi­gen Sen­at­srecht­sprechung nicht, den Anspruch inner­halb der tar­ifver­traglichen Auss­chlussfrist gel­tend zu machen, begann die Auss­chlussfrist erst mit der Bekan­nt­gabe des Urteils.

Die Beklagte, ein Zeitungsver­lag, beschäftigte den Kläger seit dem 1. April 2007 zunächst auf der Grund­lage eines sog. Ver­trags für Pauschal­is­ten, sodann als angestell­ten Online-Redak­teur. Nach § 18 Nr. 1 Satz 1 des Man­teltar­ifver­trags für Redak­teurin­nen und Redak­teure an Tageszeitun­gen (MTV) sind nicht erfüllte Ansprüche aus dem Arbeitsver­hält­nis inner­halb von drei Monat­en nach Fäl­ligkeit gel­tend zu machen. Während sein­er Tätigkeit als Pauschal­ist vom 1. April 2007 bis zum 30. Juni 2010 erhielt er keinen Urlaub. Das Arbeitsver­hält­nis endete am 30. Sep­tem­ber 2014. Im August 2018 forderte der Kläger die Beklagte auf, ins­ge­samt 65 Arbeit­stage Urlaub aus den Jahren 2007 bis 2010 abzugel­ten. Die Forderung in Höhe von 14.391,50 Euro brut­to wies die Beklagte mit der Begrün­dung zurück, ein etwaiger Anspruch des Klägers aus der Zeit sein­er Tätigkeit als Pauschal­ist sei ver­fall­en und verjährt.

Die Vorin­stanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revi­sion des Klägers hat­te beim Neun­ten Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts Erfolg. Sie führt zur Zurück­ver­weisung an das Landesarbeitsgericht.

Nach der ständi­gen Recht­sprechung des Sen­ats kann der Anspruch auf Abgel­tung nicht genomme­nen Urlaubs als rein­er Gel­danspruch tar­i­flichen Auss­chlussfris­ten unter­fall­en. Daran hält der Sen­at fest. Die rechtliche Beendi­gung des Arbeitsver­hält­niss­es bildet eine Zäsur. Der Urlaub­sabgel­tungsanspruch ist anders als der Urlaub­sanspruch nicht auf Freis­tel­lung von der Arbeitsverpflich­tung zu Erhol­ungszweck­en unter Fortzahlung der Vergü­tung gerichtet, son­dern auf dessen finanzielle Kom­pen­sa­tion beschränkt. Die struk­turell schwächere Stel­lung des Arbeit­nehmers, aus der der EuGH die Schutzbedürftigkeit des Arbeit­nehmers bei der Inanspruch­nahme von Urlaub ableit­et, endet mit der Beendi­gung des Arbeitsverhältnisses.

Der Kläger war bei Beendi­gung des Arbeitsver­hält­niss­es am 30. Sep­tem­ber 2014 nicht gehal­ten, seinen Anspruch auf Abgel­tung des bis dahin nicht gewährten Urlaubs aus den Jahren 2007 bis 2010 der Beklagten gegenüber iSd. Auss­chlussfris­ten­regelung gel­tend zu machen. Der Sen­at ging zu diesem Zeit­punkt noch davon aus, dass Urlaub­sansprüche mit Ablauf des Urlaub­s­jahres oder eines zuläs­si­gen Über­tra­gungszeitraums unab­hängig von der Erfül­lung von Mitwirkung­sobliegen­heit­en automa­tisch ver­fie­len. Erst nach­dem der EuGH mit Urteil vom 6. Novem­ber 2018* neue Regeln für den Ver­fall von Urlaub vorgegeben hat­te, oblag es dem Kläger, Urlaub­sabgel­tung zu verlangen.

Der von dem Kläger erhobene Abgel­tungsanspruch ist vor diesem Zeit­punkt auch nicht ver­jährt. Zwar ste­ht der Anwen­dung der Ver­jährungsvorschriften der unab­d­ing­bare Schutz, den der Anspruch auf den geset­zlichen Min­desturlaub genießt, nicht ent­ge­gen. Nach den vom Sen­at mit Urteil vom heuti­gen Tage (- 9 AZR 456/20 ‑Pressemit­teilung Nr. 5/23) entwick­el­ten Grund­sätzen lief die Ver­jährungs­frist nicht vor dem Ende 2018. Der Kläger wahrte die geset­zliche Ver­jährungs­frist, indem er die Beklagte im Jahr 2018 auf Zahlung von Urlaub­sabgel­tung gerichtlich in Anspruch nahm.

Den­noch kann der Sen­at nach den vom Lan­desar­beits­gericht getrof­fe­nen Fest­stel­lun­gen nicht abschließend darüber befind­en, ob die Beklagte Urlaub­sabgel­tung schuldet. Das Lan­desar­beits­gericht wird nach der Zurück­ver­weisung aufzuk­lären haben, ob der Kläger in den Jahren 2007 bis 2010, in denen er als Pauschal­ist redak­tionelle Auf­gaben für die Beklagte wahrnahm, im Rah­men eines Arbeitsver­hält­niss­es tätig war.

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