Bun­de­sar­beits­gericht, Beschluss vom 27.02.2023, AZ 9 AZR 456/20

Aus­gabe: 02–2023

Der geset­zliche Anspruch eines Arbeit­nehmers gegen den Arbeit­ge­ber, nicht genomme­nen Urlaub nach der Beendi­gung des Arbeitsver­hält­niss­es abzugel­ten, unter­liegt der Ver­jährung. Die drei­jährige Ver­jährungs­frist begin­nt in der Regel mit dem Ende des Jahres, in dem der Arbeit­nehmer aus dem Arbeitsver­hält­nis auss­chei­det. Endete das Arbeitsver­hält­nis vor der Entschei­dung des Gericht­shofs der Europäis­chen Union (EuGH) vom 6. Novem­ber 2018* und war es dem Arbeit­nehmer nicht zumut­bar, Klage auf Abgel­tung zu erheben, kon­nte die Ver­jährungs­frist nicht vor dem Ende des Jahres 2018 beginnen.

Die Beklagte betreibt eine Flugschule. Sie beschäftigte den Kläger seit dem 9. Juni 2010 als Aus­bil­dungsleit­er, ohne ihm seinen jährlichen Urlaub von 30 Arbeit­sta­gen zu gewähren. Unter dem 19. Okto­ber 2015 ver­ständigten sich die Parteien darauf, dass der Kläger in der Fol­gezeit als selb­st­ständi­ger Dien­st­nehmer für die Beklagte tätig wer­den sollte. Mit der im August 2019 erhobe­nen Klage ver­langte der Kläger ua. Abgel­tung von Urlaub aus sein­er Beschäf­ti­gungszeit vor der Ver­tragsän­derung. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung.

Die Vorin­stanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revi­sion des Klägers hat­te beim Neun­ten Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts Erfolg, soweit er die Beklagte auf Abgel­tung von Urlaub aus den Jahren 2010 bis 2014 in Höhe von 37.416,50 Euro in Anspruch nimmt. Bezo­gen auf Urlaub­sabgel­tung für das Jahr 2015 blieb sie erfolglos.

Der Sen­at hat am 20. Dezem­ber 2022 (- 9 AZR 266/20 – Pressemit­teilung Nr. 48/22) entsch­ieden, dass Urlaub­sansprüche ver­jähren kön­nen, die drei­jährige Ver­jährungs­frist jedoch erst am Ende des Kalen­der­jahres begin­nt, in dem der Arbeit­ge­ber den Arbeit­nehmer über seinen konkreten Urlaub­sanspruch informiert und ihn im Hin­blick auf Ver­fall­fris­ten aufge­fordert hat, den Urlaub tat­säch­lich zu nehmen. Hat der Arbeit­ge­ber diesen Mitwirkung­sobliegen­heit­en nicht entsprochen, kann der nicht erfüllte geset­zliche Urlaub aus möglicher­weise mehreren Jahren im laufend­en Arbeitsver­hält­nis wed­er nach § 7 Abs. 3 BUrlG ver­fall­en noch nach § 195 BGB ver­jähren und ist bei Beendi­gung des Arbeitsver­hält­niss­es nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten.

Der Urlaub­sabgel­tungsanspruch unter­liegt sein­er­seits der Ver­jährung. Die drei­jährige Ver­jährungs­frist für den Abgel­tungsanspruch begin­nt in der Regel am Ende des Jahres, in dem das Arbeitsver­hält­nis endet, ohne dass es auf die Erfül­lung der Mitwirkung­sobliegen­heit­en ankommt. Die rechtliche Beendi­gung des Arbeitsver­hält­niss­es bildet eine Zäsur. Der Urlaub­sabgel­tungsanspruch ist anders als der Urlaub­sanspruch nicht auf Freis­tel­lung von der Arbeitsverpflich­tung zu Erhol­ungszweck­en unter Fortzahlung der Vergü­tung gerichtet, son­dern auf dessen finanzielle Kom­pen­sa­tion beschränkt. Die struk­turell schwächere Stel­lung des Arbeit­nehmers, aus der der EuGH die Schutzbedürftigkeit des Arbeit­nehmers bei der Inanspruch­nahme von Urlaub ableit­et, endet mit der Beendi­gung des Arbeitsverhältnisses. 

Bei ein­er ver­fas­sungs- und union­srecht­skon­for­men Anwen­dung der Ver­jährungsregelun­gen kann die Ver­jährungs­frist nicht begin­nen, solange eine Klageer­he­bung auf­grund ein­er gegen­teili­gen höch­strichter­lichen Recht­sprechung nicht zumut­bar ist.

Von dem Kläger kon­nte bei Beendi­gung des Arbeitsver­hält­niss­es am 19. Okto­ber 2015 nicht erwartet wer­den, seinen Anspruch auf Abgel­tung des bis dahin nicht gewährten Urlaubs aus den Jahren 2010 bis 2014 gerichtlich durchzuset­zen. Der Sen­at ging zu diesem Zeit­punkt noch davon aus, dass Urlaub­sansprüche mit Ablauf des Urlaub­s­jahres oder eines zuläs­si­gen Über­tra­gungszeitraums unab­hängig von der Erfül­lung von Mitwirkung­sobliegen­heit­en automa­tisch ver­fie­len. Erst nach­dem der EuGH mit Urteil vom 6. Novem­ber 2018* neue Regeln für den Ver­fall von Urlaub vorgegeben hat­te, war der Kläger gehal­ten, Abgel­tung für die Urlaub­s­jahre von 2010 bis 2014 gerichtlich gel­tend zu machen.

Demge­genüber ist der Anspruch des Klägers auf Abgel­tung von Urlaub aus dem Jahr 2015 ver­jährt. Schon auf Grund­lage der früheren Recht­sprechung musste der Kläger erken­nen, dass die Beklagte Urlaub aus diesem Jahr, in dem das Arbeitsver­hält­nis der Parteien endete, abzugel­ten hat­te. Die drei­jährige Ver­jährungs­frist begann deshalb Ende des Jahres 2015 und endete mit Ablauf des Jahres 2018. Der Kläger hat die Klage erst im Jahr 2019 erhoben.

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