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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht

Michael Henn, Stuttgart

 

 

I.

Rückabwicklung einer Anteilsübertragung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage

BFH, Urteil vom 09.05.2025, Az.: 9 K 162/21

 

  1. Wird die Übertragung eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft durch die Parteien des Kaufvertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage rückgängig gemacht, kann dieses Ereignis steuerlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurückwirken (Anschluss an Senatsurteil vom 28.10.2009 – IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539).

 

  1. Die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, müssen sich weder aus dem Vertragswortlaut ergeben noch zeitnah mit Vertragsabschluss gegenüber der Finanzverwaltung offengelegt werden.

 

  1. Ein Steuerpflichtiger, der sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage beruft, muss darlegen und nachweisen, dass vor oder beim Abschluss des gestörten Rechtsgeschäfts ein Umstand erörtert worden ist, dessen Eintritt nach der gemeinsamen Vorstellung der Vertragspartner derart evident ist, dass mit ihm der Vollzug des Rechtsgeschäfts „steht und fällt“.

 

II.

Nachträgliche Genehmigung einer Maßnahme des Verwalters

BGH, Versäumnisurteil vom 18.07.2025, Az.: V ZR 76/24

 

  1. a) Bei der Beschlussfassung über die Beauftragung eines Rechtsanwalts müssen keine Alternativangebote anderer Rechtsanwälte vorliegen; dies gilt auch dann, wenn der Abschluss einer Honorarvereinbarung beabsichtigt ist. Entsprechendes gilt bei der Beauftragung von Gutachtern.

 

  1. b) Es steht im Ermessen der Wohnungseigentümer, im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung eine von dem Verwalter ohne Beschluss veranlasste Maßnahme nachträglich zu genehmigen. Eine derartige Genehmigung ist jedenfalls dann rechtmäßig, wenn die Maßnahme selbst ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht.

 

III.

Übertragung im Rahmen ehebedingter Zuwendungen

BGH, Urteil vom 10.07.2025, Az.: IX ZR 108/24

 

  1. a) Nehmen Ehegatten gemeinsam ein Darlehen zur Finanzierung eines in ihrem hälftigen Miteigentum stehenden Grundstücks auf, können Zahlungen des Schuldners auf die Darlehensverbindlichkeiten eine anfechtbare Leistung an den anderen Ehegatten enthalten, soweit der andere Ehegatte durch die Zahlung von seiner Mithaftung befreit wird und aufgrund der Zahlung lastenfreies Eigentum erwirbt.

 

  1. b) Dient das Grundstück dem Wohnbedarf der Ehegatten, stellt die Befreiung des anderen Ehegatten von Darlehenszinsen eine entgeltliche Leistung dar, wenn diese unterhaltsrechtlich geschuldet ist.

 

  1. c) Tilgungsleistungen sind, soweit sie zu lastenfreiem Eigentum führen, auch dann als unentgeltliche Leistungen anfechtbar, wenn dem anderen Ehegatten ein Anspruch auf Befreiung von den Darlehensverbindlichkeiten zusteht und das Grundstück von beiden Ehegatten bewohnt wird.

 

  1. d) Allein der Umstand, dass die Übertragung eines Vermögensgegenstands im Rahmen einer ehebedingten Zuwendung erfolgt, stellt noch keine Gegenleistung dar, welche die Unentgeltlichkeit der Leistung im Sinne der anfechtungsrechtlichen Vorschriften ausschließt.
  2. e) Eine ehebedingte Zuwendung des alleinverdienenden Ehegatten ist auch dann als unentgeltlich zu bewerten, wenn sie als Gegenleistung für die vom nicht erwerbstätigen Ehegatten erbrachte Haushaltsführung oder Kinderbetreuung vereinbart wird.

 

IV.

Haftung Frachtführer

OLG Hamm, Urteil vom 21.08.2025, Az.: I-18 U 101/20

 

  1. Steht fest, dass am vertraglich vereinbarten Ort nicht abgeliefert wurde, trägt der Frachtführer die Beweislast dafür, gleichwohl an einem anderem Ort an den berechtigten Empfänger abgeliefert zu haben.

 

  1. Die Bezeichnung einer Kontaktadresse (hier in Form eines Namens und einer Telefonnummer) im Frachtvertrag und im Frachtbrief kann vom Frachtführer jedenfalls dann nicht dahin verstanden werden, diese Person könne auch über den Ort der Ablieferung disponieren, wenn sie im Zusammenhang mit der Absprache der Ablieferungszeiten genannt wird.

 

  1. Eine etwaige Obliegenheitsverletzung des Absenders im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Kaufvertrags mit Personen, die unbefugt im Namen Dritter agieren, um sich die Ware anzueignen, begründet für sich genommen noch kein Mitverschulden des Absenders an einer Haftung des Frachtführers wegen einer Ablieferung an einen anderen als den frachtvertraglich festgelegten Empfänger.

 

  1. Ein Mitverschulden kann es jedoch darstellen, wenn der Absender Informationen vom Frachtführer erhält, die objektiv darauf hindeuten, dass er im Hinblick auf das dem Transport zugrunde liegende Warengeschäft einem Betrug erlegen ist, und ihm Gelegenheit geben, die Auslieferung des Gutes zu verhindern.

 

V.

Vermittlung von Versicherungsmaklerverträgen

OLG Hamm, Urteil vom 18.08.2025, Az.: I-18 U 61/24

 

  1. Die Vermittlung von Versicherungsmaklerverträgen zu Bestandskunden durch einen (Unter-)Vertreter während des bestehenden (Unter-)Handelsvertreterverhältnisses kann als Verstoß gegen ein vertragliches oder gegen das gesetzliche Wettbewerbsverbot zu werten sein.

 

  1. Der Auskunftsanspruch des Unternehmers setzt u.a. den begründeten Verdacht einer Vertragspflichtverletzung voraus, der gegeben sein kann, wenn der (Unter-)Vertreter an einer Gesellschaft beteiligt ist, die sich als Versicherungsmaklerin betätigt.

 

  1. Erforderlich ist ferner, dass sich der Unternehmer die zur Vorbereitung und Durchsetzung etwaiger Schadensersatzansprüche notwendigen Auskünfte nicht auf zumutbare Weise selbst beschaffen kann (BGH, Urteil vom 1. August 2013 – VII ZR 268/11).

 

  1. Dem Inhalt eines Auskunftsanspruchs können Vorschriften der DSGVO oder der strafrechtliche Geheimnisschutz (§ 203 StGB) entgegenstehen.

 

VI.

Außerordentliche Kündigung wegen Tätlichkeit gegenüber einem Vorgesetzten

LAG Niedersachsen, Urteil vom 25.08.2025, Az.: 15 SLa 315/25

 

  1. Die Tätlichkeit gegenüber einem Vorgesetzten kann eine außerordentliche Kündigung auch dann rechtfertigen, wenn sie nicht mit erheblicher Gewaltanwendung erfolgt.

 

  1. Reagiert ein Arbeitnehmer auf die Ansprache eines Vorgesetzten wegen der pflichtwidrigen Nutzung eines privaten Smartphones mit den Worten „Hau ab hier“, stößt ihn weg und tritt nach ihm, ist eine Abmahnung vor dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung entbehrlich.

 

 

 

 

VII.

Rückzahlung Ausbildungskosten

LAG Köln, Urteil vom 19.08.2025, Az.: 7 SLa 647/24

 

  1. Für den in einer Rückzahlungsklausel verwendeten Begriff des Vertretenmüssens kommen zwei vertretbare Auslegungsmöglichkeiten in Betracht: Der Begriff kann im Sinne des § 276 BGB als Verschulden durch vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten interpretiert werden. Er kann aber auch als dahingehend interpretiert werden, dass er alle Gründe umfasst, die aus der jeweiligen Verantwortungs- und Risikosphäre stammen.

 

  1. Eine Rückzahlungsklausel ist auch dann unangemessen benachteiligend iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn sie den Arbeitnehmer, der das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Bindungsdauer kündigt, weil es ihm z.B. aufgrund eines durch eigene leichteste Fahrlässigkeit verursachten Unfalls nicht mehr möglich ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, zur Erstattung der Fortbildungskosten verpflichten soll.

 

  1. Eine Rückzahlungsklausel im Vertrag eines Brandmeisteranwärters, die vorsieht, dass die während der 18-monatigen Ausbildung zum Brandmeister gezahlte Bruttovergütung bei einem vorzeitigen Ausscheiden zeitratierlich zurückzuzahlen ist, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

 

VIII.

Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments mit der Formulierung „unsere Kinder“ bei der Schlusserbeneinsetzung

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.07.2025, Az.: I-3 Wx 116/25

 

Berufen die Eheleute in ihrem Gemeinschaftlichen Testament „unsere Kinder“ zu Schlusserben, so kann die Testamentsauslegung nach den Umständen des Falles ergeben, dass nicht nur die gemeinsamen ehelichen Kinder begünstigt sind, sondern auch das vorehelich geborene Kind eines Ehepartners.

 

Die Lebenserfahrung spricht für eine bindende Schlusserbeneinsetzung, wenn ein Verwandter der testierenden Eheleute bedacht ist

 

IX.

Fristlose Kündigung Mietverhältnis wegen Beleidigung

AG Hannover, Urteil vom 10.09.2025, Az.: 465 C 781/25

 

Beleidigt der Mieter seinen Vermieter in rassistischer und menschenverachtender Weise, kann dies eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

 

X.

Sinngehalt einer wettbewerbsrechtlich beanstandeter Werbeaussage

OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.09.2025, Az.: 14 U 72/25

 

  1. Bei der Ermittlung des Sinngehalts einer wettbewerbsrechtlich beanstandeten Werbeaussage ist nicht allein die beanstandete Werbeaussage isoliert zu betrachten; vielmehr ist es geboten, auch die weiteren Aussagen innerhalb derselben Werbung zur Ermittlung des Aussagegehalts der beanstandeten Äußerung heranzuziehen und den Gesamteindruck der Werbeaussage, den sie bei den angesprochenen Verkehrskreisen hervorruft, zu beurteilen.

 

  1. Werden rechtliche Vorteile des Online-Handels mit Edelmetallen gegenüber dem Handel in einem Ladengeschäft im Falle der Barzahlung bei Geschäften über mindestens 2.000 € behauptet, die es tatsächlich nicht gibt, handelt es sich um eine irreführende geschäftliche Handlung im Sinne des § 5 UWG.