Bun­de­sar­beits­gericht, Beschluss vom 27.01.2023, AZ 9 AZR 266/20

Aus­gabe: 01–2023

Der geset­zliche Anspruch eines Arbeit­nehmers auf bezahlten Jahresurlaub unter­liegt der geset­zlichen Ver­jährung. Allerd­ings begin­nt die drei­jährige Ver­jährungs­frist erst am Ende des Kalen­der­jahres, in dem der Arbeit­ge­ber den Arbeit­nehmer über seinen konkreten Urlaub­sanspruch und die Ver­fall­fris­ten belehrt und der Arbeit­nehmer den Urlaub den­noch aus freien Stück­en nicht genom­men hat.

Der Beklagte beschäftigte die Klägerin vom 1. Novem­ber 1996 bis zum 31. Juli 2017 als Steuer­fachangestellte und Bilanzbuch­hal­terin. Nach der Beendi­gung des Arbeitsver­hält­niss­es zahlte der Beklagte an die Klägerin zur Abgel­tung von 14 Urlaub­sta­gen 3.201,38 Euro brut­to. Der weit­erge­hen­den Forderung der Klägerin, Urlaub im Umfang von 101 Arbeit­sta­gen aus den Vor­jahren abzugel­ten, kam der Beklagte nicht nach.

Während das Arbeits­gericht die am 6. Feb­ru­ar 2018 ein­gere­ichte Klage – soweit für das Revi­sionsver­fahren von Bedeu­tung – abgewiesen hat, sprach das Lan­desar­beits­gericht der Klägerin 17.376,64 Euro brut­to zur Abgel­tung weit­er­er 76 Arbeit­stage zu. Dabei erachtete das Lan­desar­beits­gericht den Ein­wand des Beklagten, die gel­tend gemacht­en Urlaub­sansprüche seien ver­jährt, für nicht durchgreifend.

Die Revi­sion des Beklagten hat­te vor dem Neun­ten Sen­at des Bun­de­sar­beits­gerichts keinen Erfolg. Zwar find­en die Vorschriften über die Ver­jährung (§ 214 Abs. 1, § 194 Abs. 1 BGB) auf den geset­zlichen Min­desturlaub Anwen­dung. Die regelmäßige Ver­jährungs­frist von drei Jahren begin­nt bei ein­er richtlin­ienkon­for­men Ausle­gung des § 199 Abs. 1 BGB jedoch nicht zwangsläu­fig mit Ende des Urlaub­s­jahres, son­dern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeit­ge­ber den Arbeit­nehmer über seinen konkreten Urlaub­sanspruch und die Ver­fall­fris­ten belehrt und der Arbeit­nehmer den Urlaub den­noch aus freien Stück­en nicht genom­men hat.

Der Sen­at hat damit die Vor­gaben des Gericht­shofs der Europäis­chen Union auf­grund der Vor­abentschei­dung vom 22. Sep­tem­ber 2022 (- C‑120/21 -) umge­set­zt. Nach der Recht­sprechung des Gericht­shofs tritt der Zweck der Ver­jährungsvorschriften, die Gewährleis­tung von Rechtssicher­heit, in der vor­liegen­den Fal­lkon­stel­la­tion hin­ter dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Char­ta der Grun­drechte der Europäis­chen Union zurück, die Gesund­heit des Arbeit­nehmers durch die Möglichkeit der Inanspruch­nahme zu schützen. Die Gewährleis­tung der Rechtssicher­heit dürfe nicht als Vor­wand dienen, um zuzu­lassen, dass sich der Arbeit­ge­ber auf sein eigenes Ver­säum­nis berufe, den Arbeit­nehmer in die Lage zu ver­set­zen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tat­säch­lich auszuüben. Der Arbeit­ge­ber könne die Rechtssicher­heit gewährleis­ten, indem er seine Obliegen­heit­en gegenüber dem Arbeit­nehmer nachhole.

Der Beklagte hat die Klägerin nicht durch Erfül­lung der Auf­forderungs- und Hin­weisobliegen­heit­en in die Lage ver­set­zt, ihren Urlaub­sanspruch wahrzunehmen. Die Ansprüche ver­fie­len deshalb wed­er am Ende des Kalen­der­jahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zuläs­si­gen Über­tra­gungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG) noch kon­nte der Beklagte mit Erfolg ein­wen­den, der nicht gewährte Urlaub sei bere­its während des laufend­en Arbeitsver­hält­niss­es nach Ablauf von drei Jahren ver­jährt. Den Anspruch auf Abgel­tung des Urlaubs hat die Klägerin inner­halb der Ver­jährungs­frist von drei Jahren erhoben.

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