BGH, Beschluss vom 06.10.2022, AZ V ZR 69/21

Aus­gabe: 08/09–2022

Der V. Zivilse­n­at des Bun­des­gericht­shofs hat heute entsch­ieden, dass bei einem Leitungswasser­schaden, der im räum­lichen Bere­ich des Son­dereigen­tums einge­treten ist, der im Gebäude­ver­sicherungsver­trag vere­in­barte Selb­st­be­halt – vor­be­haltlich ein­er abwe­ichen­den Regelung — von allen Woh­nung­seigen­tümern gemein­schaftlich zu tra­gen ist. 

Sachver­halt:

Die Parteien bilden eine Woh­nung­seigen­tümerge­mein­schaft. Zu der Anlage gehören die Woh­nun­gen der Beklagten und die gewerbliche Ein­heit der Klägerin. Die Gemein­schaft unter­hält eine Gebäude­ver­sicherung, die neben anderen Risiken auch Leitungswasser­schä­den abdeckt (sog. ver­bun­dene Gebäude­ver­sicherung). Der Ver­sicherungss­chutz beste­ht für das gesamte Gebäude, ohne dass zwis­chen Son­der- und Gemein­schaft­seigen­tum unter­schieden wird. In der Ver­gan­gen­heit trat­en auf­grund man­gel­hafter Leitun­gen (Kup­fer­rohre) wieder­holt Wasser­schä­den in den Woh­nun­gen der Beklagten auf, die sich allein im Jahr 2018 auf rd. 85.000 € beliefen. Die Gemein­schaft macht deshalb bere­its seit ger­aumer Zeit vor Gericht Ansprüche gegen das Unternehmen gel­tend, das die Leitun­gen ver­legt hat. Bis­lang ist die Prax­is in der Gemein­schaft so, dass die Ver­wal­terin bei einem Wasser­schaden ein Fachunternehmen mit der Schadens­be­sei­t­i­gung beauf­tragt und die Kosten von dem Gemein­schaft­skon­to begle­icht. Sie nimmt die Ver­sicherung in Anspruch und legt die Kosten unter Abzug der Ver­sicherungsleis­tung nach Miteigen­tum­san­teilen um, und zwar auch insoweit, als die Schä­den im Bere­ich des Son­dereigen­tums ent­standen sind. Auf­grund der Schaden­shäu­figkeit beträgt der in jedem Schadens­fall verbleibende Selb­st­be­halt inzwis­chen 7.500 €. Dies hat zur Folge, dass die Ver­sicherung nur noch ca. 25 % der Schä­den erstat­tet. Gestützt auf die Behaup­tung, die Män­gel an den Leitun­gen seien jew­eils hin­ter den Absper­rein­rich­tun­gen in den betrof­fe­nen Wohnein­heit­en aufge­treten, ver­langt die Klägerin mit ihrer auf zwei Anträge gestützten Beschlusser­set­zungsklage eine von der bish­eri­gen Prax­is abwe­ichende Verteilung des Selb­st­be­halts. Sie will erre­ichen, dass sie nicht auf­grund des im Ver­sicherungsver­trag vere­in­barten Selb­st­be­halts anteilig an den Kosten für die Besei­t­i­gung von Leitungs- und Folgeschä­den beteiligt wird, die nach ihrer Ansicht auss­chließlich an dem Son­dereigen­tum der Beklagten ent­standen sind; auch ver­weist sie darauf, dass in ihrer Ein­heit bis­lang kein Schaden aufge­treten ist. 

Bish­eriger Prozessverlauf: 

Das Amts­gericht hat die Klage abgewiesen. Die Beru­fung der Klägerin vor dem Landgericht ist erfol­g­los geblieben. Dage­gen hat sich die Klägerin mit der zuge­lasse­nen Revi­sion gewandt. 

Entschei­dung des Bundesgerichtshofs: 

Keinen Erfolg hat­te die Revi­sion, soweit sich die Klägerin mit dem Antrag zu 1 gegen die Recht­mäßigkeit der derzeit­i­gen Ver­wal­tung­sprax­is wen­det. Anders ver­hält es sich im Hin­blick auf den Antrag zu 2, der einen Anspruch der Klägerin auf die kün­ftige Änderung des Kosten­verteilungss­chlüs­sels zum Gegen­stand hat. Insoweit hat der Bun­des­gericht­shof das Beru­fung­surteil aufge­hoben und die Sache zur neuen Ver­hand­lung und Entschei­dung an das Landgericht zurückverwiesen. 

Dem liegen fol­gende Erwä­gun­gen zu Grunde: 

Die für den Erfolg ein­er Beschlusser­set­zungsklage erforder­liche Beschlusskom­pe­tenz der Woh­nung­seigen­tümer betr­e­f­fend den Antrag zu 1 ist gegeben. Kommt es für die Beurteilung, ob eine Ver­wal­tungs­maß­nahme ord­nungsmäßiger Ver­wal­tung entspricht, — wie hier — auf eine umstrit­tene und höch­strichter­lich ungek­lärte Rechts­frage an, ist die Gemein­schaft der Woh­nung­seigen­tümer berechtigt, durch Mehrheits­beschluss zu entschei­den, welche Auf­fas­sung für die kün­ftige Ver­wal­tung­sprax­is maßge­blich sein soll. Dass der Rechtsstre­it gegen das Unternehmen, das die Kup­fer­rohrleitun­gen ver­legt hat­te, noch nicht abgeschlossen ist, lässt den Regelungs­be­darf für die Beschlusser­set­zungsklage nicht ent­fall­en. Hier­auf muss sich die Klägerin nicht ver­weisen lassen, zumal die Dauer des Ver­fahrens nicht abse­hbar ist. 

Da die in der Gemein­schaft derzeit prak­tizierte Verteilung des Selb­st­be­halts bei einem Leitungswasser­schaden nach Miteigen­tum­san­teilen recht­mäßig ist, kann die Klägerin nicht ver­lan­gen, dass ein ihrer Recht­sauf­fas­sung entsprechen­der Beschluss durch das Gericht erset­zt wird. Hier­auf zielt der Antrag zu 1. Tritt in ein­er Woh­nung­seigen­tum­san­lage auf­grund ein­er defek­ten Wasser­leitung ein Schaden ein, ist ein von der Gemein­schaft der Woh­nung­seigen­tümer in der ver­bun­de­nen Gebäude­ver­sicherung vere­in­barter Selb­st­be­halt, durch den der Ver­sicher­er einen bes­timmten Teil des anson­sten ver­sicherten Inter­ess­es nicht zu erset­zen hat, wie die Ver­sicherung­sprämie nach dem geset­zlichen bzw. vere­in­barten Verteilungss­chlüs­sel zu verteilen. Dies gilt unab­hängig davon, ob der Leitungswasser­schaden an dem Gemein­schaft­seigen­tum oder – auss­chließlich oder teil­weise — an dem Son­dereigen­tum ent­standen ist. Zwar stellt nach ver­sicherungsrechtlichen Maßstäben die Vere­in­barung eines Selb­st­be­halts im Ver­sicherungsver­trag, bei dem der Ver­sicher­er einen bes­timmten Betrag des ver­sicherten Schadens nicht erset­zen muss, einen Fall der bewussten Unter­ver­sicherung dar. Es würde jedoch der Inter­essen­lage der Woh­nung­seigen­tümer bei Abschluss ein­er ver­bun­de­nen Gebäude­ver­sicherung nicht gerecht, wenn der geschädigte Son­dereigen­tümer den Selb­st­be­halt alleine tra­gen müsste. Die Entschei­dung für einen Selb­st­be­halt im Ver­sicherungsver­trag ist regelmäßig damit ver­bun­den, dass die Gemein­schaft als Ver­sicherungsnehmerin eine her­abge­set­zte Prämie zu zahlen hat. Das ist für die Woh­nung­seigen­tümer wegen der damit ein­herge­hen­den Ver­ringerung des Haus­geldes wirtschaftlich sin­nvoll. Von son­sti­gen Fällen ein­er bewussten Unter­ver­sicherung unter­schei­det sich der Selb­st­be­halt wegen des typ­is­cher­weise über­schaubaren und genau fest­gelegten Risikos. Grund­lage der Entschei­dung zugun­sten eines Selb­st­be­halts ist dabei die Erwartung der Woh­nung­seigen­tümer, dass dieses durch Mehrheit­sentschei­dung einge­gan­gene Risiko für alle vom Ver­sicherung­sum­fang erfassten Sachen gemein­schaftlich getra­gen wird. 

An dem Ergeb­nis ändert sich nichts, wenn der Ver­sicher­er – wie hier — die Fort­set­zung des Ver­tragsver­hält­niss­es in ein­er schaden­geneigten Woh­nung­seigen­tum­san­lage von der Vere­in­barung eines Selb­st­be­haltes abhängig macht. Auch dann kommt die Vere­in­barung eines Selb­st­be­halts allen Woh­nung­seigen­tümern zugute, und zwar deshalb, weil andern­falls deren Anspruch gegen die Gemein­schaft auf angemessene Ver­sicherung des gemein­schaftlichen Eigen­tums zum Neuw­ert nicht erfüllt wer­den kön­nte. Im Ergeb­nis stellt daher der im Schadens­fall in der ver­bun­de­nen Gebäude­ver­sicherung verbleibende Selb­st­be­halt bei wer­tender Betra­ch­tung wie die Ver­sicherung­sprämie einen Teil der Gemein­schaft­skosten gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 WEG dar.
Diese Über­legun­gen recht­fer­ti­gen allerd­ings nicht die Abweisung des Antrags zu 2. Mit diesem Antrag will die Klägerin erre­ichen, dass der Selb­st­be­halt bei einem Schaden am Son­dereigen­tum der Wohnein­heit­en allein von den Eigen­tümern der Wohnein­heit­en getra­gen wird, während sie ihrer­seits für den Selb­st­be­halt bei einem Schaden am Son­dereigen­tum der gewerblichen Ein­heit aufkom­men muss. Das ist so zu ver­ste­hen, dass der derzeit maßge­bliche Verteilungss­chlüs­sel für die Zukun­ft geän­dert wer­den soll. Hierzu sind die Woh­nung­seigen­tümer gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG befugt. Ein Anspruch eines einzel­nen Woh­nung­seigen­tümers (wie der Klägerin) auf eine solche Beschlussfas­sung ist aber nur dann gegeben, wenn gemäß § 10 Abs. 2 WEG ein Fes­thal­ten an der gel­tenden Regelung aus schw­er­wiegen­den Grün­den unter Berück­sich­ti­gung aller Umstände des Einzelfalls, ins­beson­dere der Rechte und Inter­essen der anderen Woh­nung­seigen­tümer, unbil­lig erscheint. Da es insoweit an hin­re­ichen­den Fest­stel­lun­gen fehlt, hat der Bun­des­gericht­shof die Sache an das Beru­fungs­gericht zurück­ver­wiesen. Für das weit­ere Ver­fahren hat er darauf hingewiesen, dass eine – im Ver­gle­ich zu den übri­gen Eigen­tümern – unbil­lige Belas­tung der Klägerin in Betra­cht kom­men kön­nte, wenn das (alleinige bzw. jeden­falls über­wiegende) Auftreten der Leitungswasser­schä­den im Bere­ich der Wohnein­heit­en auf baulichen Unter­schieden des Leitungsnet­zes in den Wohnein­heit­en ein­er­seits und der Gewer­beein­heit ander­er­seits beruhen sollte. Nicht aus­re­ichend wäre es demge­genüber, wenn die Ursache bei gle­ichen baulichen Ver­hält­nis­sen in einem unter­schiedlichen Nutzungsver­hal­ten läge. 

Weit­ere Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…