BGH, Beschluss vom 27.07.2021, AZ VI ZR 128/20

Aus­gabe: 06–07/2021

Der unter anderem für das Recht der uner­laubten Hand­lun­gen zuständi­ge VI. Zivilse­n­at hat sich erneut zur The­matik des soge­nan­nten “Ther­mofen­sters” geäußert. 

Sachver­halt:

Der Kläger erwarb im Okto­ber 2012 von dem beklagten Fahrzeugher­steller ein Neu­fahrzeug vom Typ Mer­cedes-Benz C 220 CDI Blue­Ef­fi­cien­cy zu einem Kauf­preis von rund 35.000 €. Das Fahrzeug ist mit einem Diesel­mo­tor der Bau­rei­he OM 651 aus­ges­tat­tet und unter­liegt keinem Rück­ruf durch das Kraft­fahrt-Bun­de­samt (KBA). Für den Fahrzeug­typ wurde eine Typ­genehmi­gung nach der Verord­nung 715/2007/EG mit der Schad­stof­fk­lasse Euro 5 erteilt. 

Die Abgas­reini­gung erfol­gt in dem vom Kläger erwor­be­nen Fahrzeug über die Abgas­rück­führung, bei der ein Teil der Abgase wieder der Ver­bren­nung im Motor zuge­führt wird, was zu ein­er Ver­ringerung der Stick­ox­ide­mis­sio­nen führt. Die Abgas­rück­führung wird bei küh­leren Tem­per­a­turen reduziert (“Ther­mofen­ster”), wobei zwis­chen den Parteien stre­it­ig ist, bei welchen Außen-/Ladeluft­tem­per­a­turen dies der Fall ist. 

Der Kläger behauptet, die Beklagte habe durch den Ein­bau des Ther­mofen­sters und ver­schieden­er weit­er­er Abschal­tein­rich­tun­gen in ver­boten­er Weise Ein­fluss auf das Emis­sionsver­hal­ten genom­men, so im Typ­genehmi­gungsver­fahren die Ein­hal­tung der geset­zlichen Gren­zw­erte vorge­spiegelt und den Kläger dadurch vorsät­zlich sit­ten­widrig geschädigt. Mit sein­er Klage ver­langt er von der Beklagten im Wesentlichen die Erstat­tung des gezahlten Kauf­preis­es zuzüglich Finanzierungskosten, Zug um Zug gegen Über­gabe des Fahrzeugs und abzüglich ein­er Nutzungsentschädigung. 

Bish­eriger Prozessverlauf: 

Die Klage hat­te in den Vorin­stanzen keinen Erfolg. Nach Auf­fas­sung des Ober­lan­des­gerichts ste­ht dem Kläger kein Schadenser­satzanspruch aus § 826 BGB wegen vorsät­zlich­er sit­ten­widriger Schädi­gung gegen die Beklagte zu. Das Inverkehrbrin­gen des vom Kläger erwor­be­nen Fahrzeugs sei unab­hängig von der objek­tiv­en Recht­mäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des in der Motors­teuerung instal­lierten “Ther­mofen­sters” wed­er als sit­ten­widrige Hand­lung einzustufen noch ergebe sich daraus der erforder­liche Schädi­gungsvor­satz der Beklagten. Es könne ohne konkrete Anhalt­spunk­te nicht unter­stellt wer­den, dass die Ver­ant­wortlichen bei der Beklagten in dem Bewusst­sein agiert hät­ten, möglicher­weise eine unzuläs­sige Abschal­tein­rich­tung zu ver­wen­den. Die Geset­zes­lage sei hin­sichtlich der Zuläs­sigkeit von “Ther­mofen­stern” nicht ein­deutig. Soweit der Kläger eine Vielzahl weit­er­er Steuerungsstrate­gien zur Abgas­reini­gung behaupte, fehle es an einem konkreten Bezug zu dem hier in Rede ste­hen­den Fahrzeug und damit jeden­falls an einem sub­stan­ti­ierten, dem Beweis zugänglichen Sachvortrag. 

Entschei­dung des Senats: 

Der VI. Zivilse­n­at hat das ange­focht­ene Urteil aufge­hoben und die Sache an das Beru­fungs­gericht zurückverwiesen. 

Das Beru­fungs­gericht ist allerd­ings zu Recht davon aus­ge­gan­gen, dass die Entwick­lung und der Ein­satz der tem­per­at­urab­hängi­gen Steuerung des Emis­sion­skon­troll­sys­tems (Ther­mofen­ster) für sich genom­men nicht aus­re­ichen, um einen Schadenser­satzanspruch wegen vorsät­zlich­er sit­ten­widriger Schädi­gung (§ 826 BGB) zu begrün­den. Wie der Sen­at bere­its in seinem Beschluss vom 19. Jan­u­ar 2021 – VI ZR 433/19 (s. Pressemit­teilung Nr. 16/2021) aus­ge­führt hat, ist der objek­tive Tatbe­stand der Sit­ten­widrigkeit vielmehr nur dann gegeben, wenn weit­ere Umstände hinzutreten, die das Ver­hal­ten der han­del­nden Per­so­n­en als beson­ders ver­w­er­flich erscheinen lassen. Die Annahme von Sit­ten­widrigkeit set­zt jeden­falls voraus, dass diese Per­so­n­en bei der Entwick­lung und/oder Ver­wen­dung der tem­per­at­urab­hängi­gen Steuerung des Emis­sion­skon­troll­sys­tems in dem Bewusst­sein han­del­ten, eine unzuläs­sige Abschal­tein­rich­tung zu ver­wen­den, und den darin liegen­den Geset­zesver­stoß bil­li­gend in Kauf nah­men. Dies ist im Stre­it­fall nicht festgestellt. 

Unter den Umstän­den des Einzelfall­es rechts­fehler­haft hat das Beru­fungs­gericht aber konkreten Sachvor­trag des Klägers zu ein­er der weit­eren behaupteten Abschal­tein­rich­tun­gen als prozes­su­al unbeachtlich ange­se­hen. Aus diesem Grund war die Sache an das Beru­fungs­gericht zurück­zu­ver­weisen, damit es die erforder­lichen Fest­stel­lun­gen hierzu tre­f­fen kann. 

Weit­ere Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…