BGH, Beschluss vom 05.04.2022, AZ III ZR 79/21

Aus­gabe: 02/03–2022

Der III. Zivilse­n­at des Bun­des­gericht­shofs hat heute über die Frage entsch­ieden, ob der Staat für Ein­nah­meaus­fälle haftet, die durch flächen­deck­ende vorüberge­hende Betrieb­ss­chließun­gen oder Betrieb­s­beschränkun­gen auf Grund von staatlichen Maß­nah­men zur Bekämp­fung des Coro­n­avirus SARS-CoV­‑2 und der dadurch verur­sacht­en COVID-19-Krankheit ent­standen sind. 

Sachver­halt:

Der Kläger ist Inhab­er eines Hotel- und Gas­tronomiebe­triebs. Am 22. März 2020 erließ das beklagte Land Bran­den­burg eine Coro­na-Eindäm­mungsverord­nung, wonach Gast­stät­ten für den Pub­likumsverkehr zu schließen waren und den Betreibern von Beherber­gungsstät­ten unter­sagt wurde, Per­so­n­en zu touris­tis­chen Zweck­en zu beherbergen. 

Der Betrieb des Klägers war in dem Zeitraum vom 23. März bis zum 7. April 2020 für den Pub­likumsverkehr geschlossen, ohne dass die COVID-19-Krankheit zuvor dort aufge­treten war. Der Kläger erkrank­te auch nicht. Während der Zeit der Schließung sein­er Gast­stätte bot er Speisen und Getränke im Außer­hausverkauf an. Im Rah­men eines staatlichen Soforthil­fe­pro­gramms zahlte die Investi­tions­bank Bran­den­burg 60.000 € als Coro­na-Soforthil­fe an ihn aus.
Der Kläger hat gel­tend gemacht, es sei ver­fas­sungsrechtlich geboten, ihn und andere Unternehmer für die durch die Maß­nah­men zur Bekämp­fung der COVID-19-Pan­demie erlit­te­nen Umsatz- und Gewin­nein­bußen zu entschädigen. 

Prozessver­lauf:

Das Landgericht hat die auf Zahlung von 27.017,28 € (Ver­di­en­staus­fall, nicht gedeck­te Betrieb­skosten, Arbeit­ge­ber­beiträge zur Kranken‑, Renten- und Pflegev­er­sicherung) neb­st Prozesszin­sen sowie auf Fest­stel­lung der Ersatz­plicht des Beklagten für alle weit­eren ent­stande­nen Schä­den gerichtete Klage abgewiesen. Die Beru­fung des Klägers ist vor dem Ober­lan­des­gericht erfol­g­los geblieben. 

Die Entschei­dung des Bundesgerichtshofs: 

Der III. Zivilse­n­at hat die Revi­sion des Klägers zurückgewiesen. 

Die Entschädi­gungsvorschriften des Infek­tion­ss­chutzge­set­zes (IfSG) gewähren Gewer­be­treiben­den, die im Rah­men der Bekämp­fung der COVID-19-Pan­demie als infek­tion­ss­chutzrechtliche Nicht­stör­er durch eine auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützte flächen­deck­ende Schutz­maß­nahme, ins­beson­dere eine Betrieb­ss­chließung oder Betrieb­s­beschränkung, wirtschaftliche Ein­bußen erlit­ten haben, wed­er in unmit­tel­bar­er noch in entsprechen­der Anwen­dung einen Anspruch auf Entschädi­gung. § 56 Abs. 1 IfSG ist von vorn­here­in nicht ein­schlägig, weil die hier im Verord­nungswege nach § 32 IfSG ange­ord­neten Ver­bote gegenüber ein­er unbes­timmten Vielzahl von Per­so­n­en ergan­gen sind und der Kläger nicht gezielt per­so­n­en­be­zo­gen als infek­tion­ss­chutzrechtlich­er Stör­er in Anspruch genom­men wurde. Ein Anspruch auf Zahlung ein­er Geldentschädi­gung ergibt sich auch nicht aus § 65 Abs. 1 IfSG. Nach ihrem ein­deuti­gen Wort­laut ist die Vorschrift nur bei Maß­nah­men zur Ver­hü­tung über­trag­bar­er Krankheit­en ein­schlägig. Im vor­liegen­den Fall dien­ten die Coro­na-Eindäm­mungsverord­nung vom 22. März 2020 sowie die Fol­geverord­nun­gen vom 17. April 2020 und 24. April 2020 jedoch der Bekämp­fung der COVID-19-Krankheit. Diese hat­te sich bere­its zum Zeit­punkt des Erlass­es der Verord­nung vom 22. März 2020 deutsch­landweit aus­ge­bre­it­et. § 65 Abs. 1 IfSG kann auch nicht erweit­ernd dahinge­hend aus­gelegt wer­den, dass der Anwen­dungs­bere­ich der Norm auf Bekämp­fungs­maß­nah­men, die zugle­ich eine die Aus­bre­itung der Krankheit ver­hü­tende Wirkung haben, erstreckt wird. 

Eine ver­fas­sungskon­forme Ausle­gung der bei­den Regeln dahinge­hend, dass auch in der vor­liegen­den Fallgestal­tung eine Entschädi­gung zu gewähren ist, wie es in einem gestern veröf­fentlicht­en Beschluss ein­er Kam­mer des Bun­desver­fas­sungs­gerichts (Beschluss vom 10. Feb­ru­ar 2022 – 1 BvR 1073/21) kur­sorisch in Erwä­gung gezo­gen wurde, schei­det aus. Die ver­fas­sungskon­forme Ausle­gung ein­er Norm set­zt voraus, dass mehrere Deu­tun­gen möglich sind. Sie find­et ihre Gren­ze an dem klaren Wort­laut der Bes­tim­mung und darf nicht im Wider­spruch zu dem ein­deutig erkennbaren Willen des Geset­zes ste­hen. Der Wort­laut von § 56 und § 65 IfSchG ist klar und lässt eine aus­dehnende Ausle­gung nicht zu. Zudem würde der ein­deutige Wille des Geset­zge­bers kon­terkari­ert, nur aus­nahm­sweise aus Grün­den der Bil­ligkeit eine Entschädi­gung für Stör­er im infek­tion­ss­chutzrechtlichen Sinn vorzusehen. 

Der Kläger kann den gel­tend gemacht­en Entschädi­gungsanspruch auch nicht auf eine analoge Anwen­dung von § 56 Abs. 1 oder § 65 Abs. 1 IfSG stützen. Es fehlt bere­its an ein­er plan­widri­gen Regelungslücke. Den infek­tion­ss­chutzrechtlichen Entschädi­gungstatbestän­den liegt, was sich ins­beson­dere aus ihrer Entste­hungs­geschichte und der Geset­zge­bungstätigkeit während der Coro­na-Pan­demie ergibt, die abschließende geset­zge­berische Entschei­dung zugrunde, Entschädi­gun­gen auf wenige Fälle punk­tuell zu begren­zen und Erweiterun­gen aus­drück­lich ins Gesetz aufzunehmen (“Konzept ein­er punk­tuellen Entschädi­gungs­gewährung”). Darüber hin­aus fehlt es auch an der Ver­gle­ich­barkeit der Inter­essen­lage zwis­chen den Entschädi­gungsregelun­gen nach §§ 56, 65 IfSG und flächen­deck­enden Betrieb­ss­chließun­gen, die auf gegenüber der All­ge­mein­heit getrof­fe­nen Schutz­maß­nah­men beruhen. 

Das Beru­fungs­gericht hat einen Entschädi­gungsanspruch aus § 38 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. § 18 des Ord­nungs­be­hör­denge­set­zes für das Land Bran­den­burg zu Recht abgelehnt. Als spezialge­set­zliche Vorschriften der Gefahren­ab­wehr haben die Bes­tim­mungen des Infek­tion­ss­chutzge­set­zes Anwen­dungsvor­rang und ent­fal­ten eine Sper­rwirkung gegenüber den Regelun­gen des all­ge­meinen Polizei- und Ordnungsrechts. 

Ansprüche aus dem richter­rechtlich entwick­el­ten Haf­tungsin­sti­tut des enteignen­den Ein­griffs scheit­ern daran, dass das den §§ 56, 65 IfSG zugrun­deliegende und geset­zge­berisch als abschließend gedachte Konzept ein­er punk­tuellen Entschädi­gung im Bere­ich der Eigen­tum­se­in­griffe nicht durch die Gewährung richter­rechtlich­er Ansprüche unter­laufen wer­den darf. Unab­hängig davon ist der Anwen­dungs­bere­ich des Rechtin­sti­tuts des enteignen­den Ein­griffs nicht eröffnet, wenn es darum geht, im Rah­men ein­er Pan­demie durch flächen­deck­ende infek­tion­ss­chutzrechtliche Maß­nah­men, die als Inhalts- und Schrankenbes­tim­mung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG anzuse­hen sind, verur­sachte Schä­den auszu­gle­ichen. Es stünde – wie der Sen­at wer­tungsmäßig ver­gle­ich­bar bere­its in dem Wald­schä­de­nurteil vom 10. Dezem­ber 1987 (III ZR 220/86, BGHZ 102, 350, 361 ff) aus­ge­sprochen hat – in einem offe­nen Wider­spruch zum Grund­satz der Geset­zmäßigkeit der Entschädi­gung, wenn die Gerichte – gestützt auf das richter­rechtliche Insti­tut des enteignen­den Ein­griffs – im Zusam­men­hang mit ein­er Pan­demiebekämp­fung im Anwen­dungs­bere­ich von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG massen­hafte und großvo­lu­mige Entschädi­gun­gen zuerken­nen würden. 

Eben­so wenig kann dem Kläger unter dem rechtlichen Gesicht­spunkt der soge­nan­nten aus­gle­ich­spflichti­gen Inhalts­bes­tim­mung des Eigen­tums eine Entschädi­gung zuerkan­nt wer­den. Es erscheint dem Sen­at bere­its sehr zweifel­haft, ob dieses Rechtsin­sti­tut, das bis­lang vor allem auf Härte­fälle bei unzu­mut­baren Belas­tun­gen einzel­ner Eigen­tümer ange­wandt wor­den ist, geeignet ist, auf Pan­demiela­gen sachgerecht im Sinne ein­er gerecht­en Las­ten­verteilung zu reagieren. Jeden­falls wäre es im Hin­blick auf den Grund­satz der Geset­zmäßigkeit der Entschädi­gung nicht zuläs­sig, dem Kläger vor­liegend einen Aus­gle­ich­sanspruch kraft Richter­rechts unter dem Gesicht­spunkt der aus­gle­ich­spflichti­gen Inhalts­bes­tim­mung zu gewähren. 

Hil­feleis­tun­gen für von ein­er Pan­demie schw­er getrof­fene Wirtschafts­bere­iche sind keine Auf­gabe der Staat­shaf­tung. Vielmehr fol­gt aus dem Sozial­staat­sprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), dass die staatliche Gemein­schaft Las­ten mit­trägt, die aus einem von der Gesamtheit zu tra­gen­den Schick­sal ent­standen sind und nur zufäl­lig einen bes­timmten Per­so­n­enkreis tre­f­fen. Hier­aus fol­gt zunächst nur die Pflicht zu einem inner­staatlichen Aus­gle­ich, dessen nähere Gestal­tung weit­ge­hend dem Geset­zge­ber über­lassen ist. Erst eine solche geset­zliche Regelung kann konkrete Aus­gle­ich­sansprüche der einzel­nen Geschädigten begrün­den. Dieser sozial­staatlichen Verpflich­tung kann der Staat zum Beispiel dadurch nachkom­men, dass er – wie im Fall der COVID-19-Pan­demie geschehen – haushalt­srechtlich durch die Par­la­mente abgesicherte Ad-hoc-Hil­f­spro­gramme auflegt (“Coro­na-Hil­fen”), die die gebotene Beweglichkeit aufweisen und eine lageangemessene Reak­tion zum Beispiel durch kurzfristige exis­ten­zsich­ernde Unter­stützungszahlun­gen an betrof­fene Unternehmen erlauben. 

Ansprüche aus Amt­shaf­tung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG) und enteig­nungs­gle­ichem Ein­griff sowie nach § 1 Abs. 1 des Staat­shaf­tungs­ge­set­zes des Lan­des Ban­den­burg hat das Beru­fungs­gericht zu Recht abgelehnt. Die Coro­na-Eindäm­mungsverord­nung vom 22. März 2020 und die Fol­geverord­nun­gen vom 17. und 24. April 2020 waren als solche recht­mäßig. Die getrof­fe­nen Schutz­maß­nah­men, ins­beson­dere die ange­ord­neten Betrieb­ss­chließun­gen, waren erforder­lich, um die weit­ere Aus­bre­itung der COVID-19-Krankheit zu ver­hin­dern. Dies wurde von der Revi­sion auch nicht in Frage gestellt. 

Weit­ere Infor­ma­tio­nen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…